14.11.2012 Aufrufe

Joachim Lottmann Auf der Borderline nachts um halb eins. Mein ...

Joachim Lottmann Auf der Borderline nachts um halb eins. Mein ...

Joachim Lottmann Auf der Borderline nachts um halb eins. Mein ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

mithalten. Der Sex strengte mich an, brachte meinen Kreislauf<br />

durcheinan<strong>der</strong>. Es war nicht direkt schlecht, aber ich bekam einfach<br />

Depressionen davon. Wegen <strong>der</strong> wi<strong>der</strong>wärtigen Worte, die dabei<br />

gesprochen wurden? O<strong>der</strong> weil dabei geschwiegen wurde? O<strong>der</strong> beides,<br />

weil meistens geschwiegen wurde und wenn nicht, man Worte hörte wie<br />

"... weil, weißt du, du mußt dich selbst lieben, dann werden dich auch alle<br />

an<strong>der</strong>en lieben, denn es ist ja so, daß..." und das Herz einen jähen<br />

Ausfallschritt hin z<strong>um</strong> Herzinfarkt machte, weil man gar nicht mehr<br />

wußte, was man und in welcher Schärfe... ach, es lohnt nicht, darüber zu<br />

schreiben, es ginge auch am Thema vorbei. Das Thema heißt ja: Wie<br />

begegnete ich meiner Tra<strong>um</strong>frau Ariane Sommer! Und wir waren gerade<br />

im Frühsommer 2002, beim Durchlaufen diverser Kandidatinnen,<br />

sozusagen im Vorlauf. Um nicht zu langweilen, mache ich es kurz: Eine<br />

junge Ossi-Frau wurde mir von einem Schriftstellerkollegen empfohlen.<br />

Sie sei sehr sauber, meinte er, sehr reinlich, außerdem könne er sich für<br />

sie verbürgen. Im Osten heiratete man ja früher jung; er war mit ihr von<br />

1988 bis 1999 verheiratet gewesen, dennoch zählte sie ka<strong>um</strong> 30 Jahre.<br />

Mit ihr hatte er seine größten Erfolge als DDR-Un<strong>der</strong>ground-Geheimtip<br />

gehabt, mit ihr war er <strong>eins</strong>t aufgestiegen: das sprach doch, glaube ich<br />

wirklich, total für das Girl (Thomas <strong>Mein</strong>ecke, ein an<strong>der</strong>er Kollege, sagt zu<br />

allen Schriftstellerfrauen immer "girl", wohl weil er aus Amerika kommt).<br />

Sie war auch sofort bereit, mich z<strong>um</strong> Freunde zu nehmen. Lei<strong>der</strong> war sie<br />

von Natur aus unsicher. Sehr unsicher. Diese Eigenschaft definierte sie.<br />

Der Kollege und Ex-Mann sagte es mir gleich. Es sei schon immer ihr alles<br />

überschattendes Problem gewesen. Man habe jahrelang daran gearbeitet.<br />

Doch <strong>um</strong>sonst. Mehrere Therapien habe sie abgebrochen. Und in <strong>der</strong> Tat:<br />

das Mädchen sagte nichts vor lauter Unsicherheit. Ich mußte für zwei<br />

reden. Umso anstrengen<strong>der</strong> war das sogenannte Soziale für mich in<br />

diesem Fall. Es war, als müsse Hannelore Kohl ihre Schwiegertochter im<br />

Hochsommer in die Türkei begleiten. Ich brannte schon am ersten Abend<br />

vollkommen aus. Als ich mich dann zu ihr legte, schlief sie nicht ein,<br />

son<strong>der</strong>n war immer noch unsicher. Sie weinte dabei. Sagte aber nicht,<br />

war<strong>um</strong>. Es war entsetzlich. Die ganze Nacht lag sie wach und weinte,<br />

während ich aus schierer Nervenüberreizung und Totalerschöpfung<br />

<strong>eins</strong>chlief. Wir trafen uns noch fünf weitere Nächte, immer geschah<br />

dasselbe, ich mußte reden bis kurz vorm epileptischen Anfall. Da floh ich<br />

aus <strong>der</strong> Stadt und erholte mich bei meiner Ex-Frau. Gott sei Dank ging<br />

das noch. Aber sie kannte mich ja und wußte, was ich brauchte und wie<br />

arg es <strong>um</strong> mich stand.<br />

Als nächstes kam, im Mai 2002, eine junge Musikerin in mein Leben, die<br />

ich wählte, da offenbar sie mich gewählt hatte. Sie spielte die Erste Geige<br />

bei den Berliner Philharmonikern, war Anfang 30 und verrückt nach mir,<br />

wie es zunächst schien. Seit dem dritten Lebensjahr übte sie täglich<br />

vierzehn Stunden auf <strong>der</strong> kostbaren (sehr teuren) Violine. <strong>Auf</strong>gewachsen<br />

war sie in einem Barockschloß. Sie war ein durch und durch prämo<strong>der</strong>ner<br />

Charakter, in dem extremen Maße, wie ich ein postmo<strong>der</strong>ner<br />

Charakter war. Wir hatten ideengeschichtlich keinerlei gem<strong>eins</strong>ame<br />

Schnittmenge und konnten uns, wenn kein Dritter im Ra<strong>um</strong>e war, nicht<br />

32

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!