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Joachim Lottmann Auf der Borderline nachts um halb eins. Mein ...

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<strong>Auf</strong> Elke Heidenreich trifft es strukturell noch mehr zu. Und so ist auch <strong>der</strong><br />

häufigste Vorwurf, den man ihr macht, das ausschließliche Beharren auf<br />

den eigenen Geschmack. Kein Einflüsterer hätte bei ihr eine Chance, sein<br />

Buch gewürdigt zu kriegen. Außer di Lorenzo vie lleicht, was aber je<strong>der</strong><br />

verstehen würde.<br />

Als letzte bekennende 68er-Frau weiß sie, daß es 'Macht an sich' nicht<br />

gibt, nur "Macht für o<strong>der</strong> gegen die Arbeiterklasse". Für wen also hat sie<br />

ihre Macht?<br />

"Für die Bücher!" ruft sie to<strong>der</strong>nst. Man muß sie lieben.<br />

Auch weil sie etwas Zartes und Mädchenhaftes hat in ihrer antiautoritären<br />

Haltung. Die Leute denken, da sitzt Else Stratmann, und auf den ersten<br />

Blick stimmt das womöglich. Die rabulistische, rotzfreche Nachbarin aus<br />

<strong>der</strong> Vorstadt.<br />

Ihre innere Wahrheit vermittelt sich aber viel deutlicher. Da sitzt ein<br />

zartes, verletzliches, unendlich auf die Erwachsenen neugieriges Kind, das<br />

über den Umweg 'Bücher' alle noch viel besser kennenlernen möchte. Ein<br />

P<strong>um</strong>uckl mit lustiger Lesebrille. Was das für eine ist, die Elke Heidenreich,<br />

beweist sich in den langen Pausen, als sie das völlig 'unbedeutende'<br />

Publik<strong>um</strong> mit aktuellen Anekdoten aus ihrem Alltag unterhält. Sie ist da<br />

(noch) besser, verbindlicher und geduldiger als in <strong>der</strong> Sendung.<br />

O<strong>der</strong> wenn es ihr auf die Frage, war<strong>um</strong> sie jedes Fremdwort auf <strong>der</strong> Stelle<br />

erkärt, rausrutscht:<br />

"Alles an<strong>der</strong>e wäre Hochmut!"<br />

Elkes Antwort auf den ewigen Machtmißbrauchsvorwurf ist die<br />

Verbreiterung des Angebots. Sie empfiehlt nicht vier Bücher, son<strong>der</strong>n<br />

acht, manchmal sogar bis zu zwölf. Diesmal vor allem den neuen Uwe<br />

Timm 'Der Freund und <strong>der</strong> Fremde', über die Freundschaft Uwe Timms mit<br />

Benno Ohnesorg, sowie Daniel Kehlmann, Cees Nooteboom, Ulrich Greiner<br />

und noch zig an<strong>der</strong>e. Sie schafft das, indem sie die Sendung so schnell<br />

macht wie <strong>eins</strong>t Hänschen Rosenthal sein 'Dalli-dalli'-Ratespiel. Schnell,<br />

aber nie hektisch. Sie schafft das, indem sie sehr persönlich spricht. Es<br />

geht <strong>um</strong> Weltliteratur, aber man hört eine intime Freundin sprechen.<br />

Jedes Buch, und sei es noch so abgehoben, bezieht sie auf sich und ihr<br />

Leben, und auf seltsame Weise spricht sie dadurch vom Zuschauer selbst.<br />

Wenn es ihr gefällt, wird es auch ihm gefallen.<br />

Die Sendung ist ganz gut für Leute, die arbeiten und keine Zeit haben,<br />

stundenlang im Buchgeschäft zu stehen. Ihre Empfehlungen sind<br />

subjektiv, aber nicht verschroben. So ziemlich alle großen, wichtigen<br />

Neuheiten werden ihr nicht entgehen, darauf kann man sich verlassen.<br />

Nach 19 Sendungen ist sie selbstverständlich etwas mainstreamig<br />

geworden. Das 'hallo Mädels, das ist was für Euch!'<br />

kommt ihr nicht mehr über die Lippen. Ka<strong>um</strong> noch Umarmungen vor<br />

laufen<strong>der</strong> Kamera mit Gesinnungsschwestern, überhaupt: <strong>der</strong> ganze<br />

ausgestellte Feminismus steht heute da wie ein Mißverständnis. Zur<br />

Merkel-Kanzlerschaft nur ein Zornausbruch: "Lieber weiter noch 100 Jahre<br />

Männer als DIE DA." Nein, es ging ihr einzig <strong>um</strong> Bücher, <strong>um</strong> das<br />

massenweise Lesen <strong>der</strong>selben. Aber das herzliche "Ihr Lieben!"<br />

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