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Joachim Lottmann Auf der Borderline nachts um halb eins. Mein ...

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Publik<strong>um</strong> Verfügungsmasse,Teil seiner Inszenierung, Teil seiner<br />

Pläne. Das Publik<strong>um</strong> hat zu parieren, hat entsetzt zu sein, hat den<br />

Schock zu dok<strong>um</strong>entieren. Und den letzten Kritiker beißen die<br />

Hunde, so soll es sein.<br />

Der heutige Theaterregisseur verachtet zudem den Text, ja sogar<br />

seine Schauspieler. Sie sollen nichts mehr 'können', son<strong>der</strong>n<br />

biegsam sein. Das sagt jedenfalls Gerhard Stadelmaier, als ich ihn<br />

in seinem Büro bei <strong>der</strong> F.A.Z. in Frankfurt treffe.<br />

"Herr Stadelmaier, ich will mir nun selbst ein Bild über das mo<strong>der</strong>ne<br />

Regietheater machen. Wie konnte dieser lächerliche Happening-Stil<br />

aus den 70ern so lange überleben?"<br />

"Dieses Phänomen gibt es nur in Deutschland, wegen <strong>der</strong><br />

Subventionen, und es wird auch verschwinden. Das Publik<strong>um</strong> wird<br />

wegbleiben."<br />

Wird? Es ist längst weg. Wer geht heute noch ins Theater? Ich<br />

nicht. Es gibt kein Theater mehr. Stadelmaier spricht vom<br />

'Rübenrauschtheater: Alles, was dem Regisseur während <strong>der</strong><br />

Proben durch die Rübe rauscht, wird <strong>um</strong>gesetzt. Ohne daß es<br />

durch den Text überprüft werden könnte. Es handelt sich folglich<br />

<strong>um</strong> völlige Beliebigkeit. So beliebig wie das Zeug, daß Menschen<br />

normalerweise <strong>nachts</strong> trä<strong>um</strong>en.<br />

"Genau, deswegen langweilt es immer so, wenn einem die Freundin<br />

ihre Trä<strong>um</strong>e erzählt beim Frühstück!"<br />

Nächster Versuch: Goethes 'Egmont' in <strong>der</strong> Goethestadt Frankfurt.<br />

Das dortige Theater hat die Sprachverhunzung schon im Namen,<br />

wie ein Programm: 'schauspielfrankfurt', kleingeschrieben und<br />

zusammen. Da ahnt man die offene Bühne, das Weglassen <strong>der</strong><br />

Pause, den Verzicht auf Kostüme und Bühnenbild schon beim Kauf<br />

<strong>der</strong> Karte. Tradition? Bäh! Vergangenheit? Niemals! Historisches<br />

Bewußtsein? Verpiß dich, du Arsch!<br />

Und wie<strong>der</strong> sehe ich diese ganz und gar selbstgeschnitzten<br />

Blödmannszenen, dieses Punk- und Rock-Zeug, alles vom Regisseur<br />

geschrieben, von Goethe nur die Stichworte, das sogenannte<br />

'Material'. Je<strong>der</strong> blöde Regie- und Probeneinfall wird intuitiv und<br />

nicht überprüfbar <strong>um</strong>gesetzt, genau wie Stadelmaier es gesagt<br />

hatte. Männer- und Frauenrollen werden zusammengefaßt, o<strong>der</strong><br />

Männer von Frauen gespielt o<strong>der</strong> Frauen von Tunten, o<strong>der</strong> das<br />

Klärchen von von einer Hure in Sex-Pistols-Klamotten, o<strong>der</strong> <strong>der</strong><br />

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