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Joachim Lottmann Auf der Borderline nachts um halb eins. Mein ...

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Wir verdrehten pikiert unsere Augen. Diese unmöglichen Leute!<br />

Indiskutabel, also echt.<br />

"Is doch jut, wennet ma jemandt zu dir sacht, wa, is doch bessa wennde<br />

et endlich hörst, ha ick zu ihr jesacht..."<br />

Wir mußten hier wie<strong>der</strong> weg, es hatte keinen Sinn. Wir schwiegen noch<br />

betreten fünf Minuten, wobei wir merkten, dass unsere sexuellen und<br />

philosophischen Tagesordnungspunkte nicht für die Ohren <strong>der</strong><br />

L<strong>um</strong>penproletarier bestimmt waren. Ich versuchte es matt:<br />

"Schön, daß Schrö<strong>der</strong>chen jetzt ordentlich Geld verdient, bei Gazprom.<br />

Er... geht einfach in die Offensive, denke ich mir..."<br />

"Was?!"<br />

"Na, die Depression, in die Du als Politiker fällst, nach dem Job-Ende, ist<br />

normalerweise schlimmer als je<strong>der</strong> Heroin-Entzug... und dann will ich mir<br />

nicht die Doris vorstellen..."<br />

Das Gute Gespräch fiel dieses Jahr aus. Den Prolls war fast <strong>der</strong> Löffel in<br />

die Suppe gefallen. Es drohte <strong>der</strong> Ausbruch einer Gruppendiskussion!<br />

Des<strong>halb</strong> aßen wir finster und still den Kantinenkuchen auf und traten den<br />

geordneten Rückzug an. Erst durchs Haus, dann durchs feindliche Viertel,<br />

dann mit <strong>der</strong> ollen S-Bahn Richtung Osten, zurück z<strong>um</strong> Hackeschen Markt.<br />

Die Heizung war ausgefallen, und als ich einmal nicht hinsah, hatte mein<br />

Bru<strong>der</strong> mit seinem Finger "X-MAS SUCKS" in die beschlagene S-Bahn-<br />

Scheibe gemalt. Mit dem Auto wie<strong>der</strong> zur Kleinen Präsidentenstraße.<br />

Ich stieg aus und gab Eckart eines <strong>der</strong> beiden Päckchen. Ich sagte, es sei<br />

für ihn, und das an<strong>der</strong>e würde ich mir selbst schenken. Er <strong>um</strong>armte mich<br />

und sagte, ich sei ein guter Mensch. Das hatte er noch nie zu mir gesagt.<br />

Ich erwi<strong>der</strong>te:<br />

"Wenn Du mal K<strong>um</strong>mer hast und mein Handy ist abgeschaltet, mußt Du<br />

es dem Affen erzählen. Der erzählt es dann meinem Affen, und <strong>der</strong> dann<br />

mir. So bleiben wir kharmisch verbunden. Wie früher."<br />

"So so... wie heißt er denn?"<br />

"M<strong>um</strong>in. Und meiner heißt Miko."<br />

"Deiner heißt M<strong>um</strong>in?"<br />

"Nein, DEINER."<br />

"Hm..."<br />

"MEINER heißt doch Miko."<br />

So hießen schon die beiden Äffchen, die wir als Kin<strong>der</strong> hatten. Keine<br />

teuren Jockos. Die hatten wir uns selbst geschnitzt, aus<br />

Scha<strong>um</strong>stoffschwämmen. Aber die Kindheit, jetzt wurde es wie<strong>der</strong><br />

deutlich, hatte Eckart ja verdrängt.<br />

Vielleicht ganz gut so!<br />

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