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Joachim Lottmann Auf der Borderline nachts um halb eins. Mein ...

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cat, Verschwörungstheorien und Janis Joplin aufgewachsen war.<br />

Solche Leute konnte ich nicht leiden. Aber es half ja nichts: <strong>der</strong><br />

Mann mußte ausfindig gemacht werden.<br />

Später löcherte mich Judith Bröhl, als ich sie endlich sehen durfte,<br />

mit weiteren Fragen nach Tom K<strong>um</strong>mer. Sie verstand nämlich den<br />

ganzen Fall nicht.<br />

„WARUM mußt Du über den Arsch überhaupt schreiben?“<br />

„Weil er jetzt seine Biografie herausbringt.“<br />

„Ach! Tun das nicht alle? War<strong>um</strong> schreibst Du nicht über die<br />

beschissene Biografie von jemand an<strong>der</strong>m, den man anrufen und<br />

treffen kann, irgendeinem verfickten Hiphopper vielleicht? Da<br />

laufen doch genug r<strong>um</strong>, und ich fänd’s geil.“<br />

Ich erklärte ihr das Wesen des Bor<strong>der</strong>line Journalismus. Einige<br />

Dinge stimmten, an<strong>der</strong>e waren dazuerfunden. Als man anfing, alle<br />

K<strong>um</strong>mertexte zu überprüfen, fand man heraus, dass er fast immer<br />

eine Mischung aus wahr und erfunden zusammengerührt hatte. Die<br />

Süddeutsche Zeitung dachte ernsthaft über Schritte gegen ihn<br />

nach. Als DER SPIEGEL ihn nun interviewte, sagte er, er habe die<br />

Intelligenz <strong>der</strong> Leser nicht beleidigen wollen. Er habe es einfach<br />

nicht über sich gebracht, Millionen unbescholtene deutsche Leser<br />

mit diesen Blabla-Aussagen <strong>der</strong> US-Stars zu langweilen. Und so<br />

erfand er Antwortsätze, die die Stars hätten sagen KÖNNEN, wenn<br />

sie die Intelligenz dazu gehabt hätten. Es war, als würde Michael<br />

Ballack erst sagen:<br />

„Nun gut. Sicher. Wir haben das Tor gemacht, aber am Ende ist es<br />

die Mannchaft, was zählt. Das ist jedenfalls meine <strong>Mein</strong>ung.“<br />

Und K<strong>um</strong>mer würde dann anfügen:<br />

„O<strong>der</strong> lassen Sie es mich einmal an<strong>der</strong>s sagen: Der forcierte<br />

Individualismus hat im deutschen Fußball <strong>der</strong> 70er Jahre viel Gutes<br />

hervorgebracht, wird aber <strong>der</strong> zunehmenden Komplexität des<br />

heutigen Spielaufbaus – Sie können ruhig das Modewort<br />

‚Vernetzung‘ an dieser Stelle verwenden - nicht mehr gerecht.“<br />

K<strong>um</strong>mer hätte nicht gelogen. Genau DAS hatte Ballack sagen<br />

wollen, konnte es nur nicht, da seine Eltern aus <strong>der</strong> DDR kamen<br />

und er selbst auch. Es war nicht seine Schuld. Und Tom K<strong>um</strong>mer<br />

korrigierte nur eine Ungerechtigkeit, die aus dem System kam. Man<br />

hätte ihn dafür lieben können. Stattdessen beschloß die<br />

Süddeutsche Zeitung schließlich, ihn nicht weiter zu beschäftigen.<br />

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