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Joachim Lottmann Auf der Borderline nachts um halb eins. Mein ...

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"Aber das habe ich doch schon vor 20 Jahren behauptet."<br />

Es störte ihn offenbar nicht son<strong>der</strong>lich. Ich setzte nach:<br />

„Wer noch als deutscher Jugendlicher dort auftaucht, hab‘ ich gehört, muß<br />

definitiv mit 'Stress' rechnen, also mit Schlägen!“<br />

Den Professor schockte das nicht. Er sah auf die lächelnden, in weißen<br />

Jeans und weißen T-Shirts stolzierenden, schwarzhaarigen<br />

Türkenmädchen. Ich geiferte aber weiter. Deutsche Jungs hätten keine<br />

Chance, da sie nicht mehr im Patriarchat lebten. In <strong>der</strong> Zeitung stand<br />

gerade ein Fall, da hatten vier sogenannte deutsch-Türken im Alter von 13<br />

bis 15 Jahren eine 16jährige Deutsche vergewaltigt. Brock sagte tonlos:<br />

„Blöde gibt es viele, am Rhein wie auch am Nile.“<br />

Das war <strong>der</strong> Satz, <strong>der</strong> alles än<strong>der</strong>te. Plötzlich verstand ich den Professor.<br />

Er stand über den Dingen. Er hatte 4000 Jahre Geschichte im Kopf, ja im<br />

Blut. Er war wirklich cool. Ihm machte keiner Angst, schon gar nicht die<br />

Bild Zeitung. So einen Mann brauchen wir. Heute.<br />

Bazon Brock, alles Gute z<strong>um</strong> Geburtstag!<br />

Fußnote<br />

Bazon Brock:<br />

Brock lag mir etwas am Herzen, da ich ihn als junger Student gemocht hatte. Ich riß<br />

mich daher <strong>um</strong> den <strong>Auf</strong>trag, <strong>der</strong> eigentlich schon an einen Kollegen vergeben war. Die<br />

Begegnung war dann sachlich enttäuschend, persönlich aber das Gegenteil. Die<br />

Selbstpräsentation des Professors war nie<strong>der</strong>schmetternd, fast schon traurig. Wie<br />

beschrieben redete er soviel, dass beim Zuhörer nur weißes Rauschen entstand. Das war<br />

insofern traurig, als er wahrscheinlich unendlich viel Interessantes zu sagen hatte, das<br />

nur alles in dem Niagarafall seiner Worte ersoff. Ich versuchte nun genau das z<strong>um</strong><br />

Thema zu machen, was sonst: Bazon Brock als Minher Peeperkorn. Es war natürlich ein<br />

bißchen wenig. Nach dem ersten Treffen hatte ich achtein<strong>halb</strong> Stunden Monolog auf<br />

Band, aber keine Erlebnisse. Und den schlimmsten Br<strong>um</strong>mschädel meines Lebens. <strong>Mein</strong>e<br />

Kopfschmerzen waren in <strong>der</strong> folgenden Nacht so stark, dass ich dagegen Extacy nahm -<br />

eine Droge, mit <strong>der</strong> ich im Grunde keine Erfahrungen habe, es war nur nichts an<strong>der</strong>es<br />

da. Ich hatte wirklich das Gefühl, <strong>der</strong> Mann habe mich nicht nur <strong>um</strong> meinen<br />

Verstand geredet, son<strong>der</strong>n <strong>um</strong> mein ganzes Gehirn. Jedenfalls ersuchte ich <strong>um</strong> eine<br />

zweite, diesmal persönliche Begegnung, in seinem Privathaus. Es folgten dann<br />

alle möglichen privaten Treffen, das steht ja in dem Artikel drin, und noch heute<br />

sehen wir uns manchmal. Brock war unfaßbar nett, wurde mein Hausarzt,<br />

überhäufte mich und meine Frau Barbi mit Geschenken, und wir schenkten zurück, was<br />

das Zeug hielt. Der Artikel mußte natürlich wie<strong>der</strong> 37 Mal <strong>um</strong>geschrieben werden,<br />

aber diesmal sah ich jede weitere Verzögerung gern, denn ich hatte Angst vor<br />

<strong>der</strong> Veröffentlichung, also davor, dass <strong>der</strong> Professor verletzt sein könne. Denn<br />

einer, <strong>der</strong> sich so monomanisch darstellt, kann keinen Text über sich<br />

akzeptieren, an dem ein an<strong>der</strong>er mitgewirkt hat. Lei<strong>der</strong> fehlte noch immer <strong>der</strong> Kick für<br />

die Geschichte. Ein Mann, <strong>der</strong> viel redet - das reichte nicht für eine große<br />

SPIEGEL Story. Ich bat daher Bazon, mit mir noch einen tollen Schluß zu<br />

verfassen. Etwas Überraschendes, nämlich Zeitgemäßes. Bisher hatte er mehr o<strong>der</strong><br />

weniger über Dinge theoretisiert, die in den 70er Jahren passiert waren, allenfalls<br />

noch 80ern. Er wußte offenbar nicht, was ich meinte. So legte ich ihm 30 Fragen<br />

z<strong>um</strong> Hier und Heute vor. Diesmal schriftlich, denn er ließ mich ja nie zu Wort<br />

kommen. Er antwortete nicht. Wir telefonierten. Wir kamen nicht recht vom<br />

Fleck. Sein Assistent wurde eingeschaltet. Ich bot an, die Fragen selbst zu<br />

beantworten, und Brock sollte sich die ihm liebste Antwort aussuchen, die ich dann<br />

für den geplanten Schluß verwenden würde. So machten wir es schliesslich.<br />

Brock wurde allmählich unsichtbar, die ganze Entwicklung gefiel ihm natürlich<br />

nicht. Der Assistent erklärte schließlich, Brock würde <strong>der</strong> neue Schluß nicht<br />

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