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Joachim Lottmann Auf der Borderline nachts um halb eins. Mein ...

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zuweilen hart, wenn die Messetermine sich häufen, wie gerade in diesen<br />

Monaten. Basel, Kassel, Venedig - alles drängt sich jetzt. Da muß man<br />

seine fünf Sinne zusammenhalten, an Frau und Kind denken. Aber die<br />

Künstler selbst MÜSSEN natürlich ausgehen. Und sie feiern härter als die<br />

sonstige Berliner Club-Szene, was auch sofort honoriert wird.<br />

Man hängt sich dran. Man unterstützt das. An den Galerientagen ist<br />

Ausgehen die erste Bürgerspflicht, wie Wilhelm Zwo es wohl formuliert<br />

hätte. Aber Galeristen und Sammler gehen gern essen. Am liebsten mit<br />

Künstlern, doch ohne sie gehts auch. Am liebsten in <strong>der</strong> Friedrichstraße im<br />

"Grill Royal", am Flußufer, o<strong>der</strong> in einem <strong>der</strong> vielen Lokale daneben, etwa<br />

dem "San Ricci".<br />

Es sind Lokale für das große Geld. Aber wie alles in Neu-Berlin bleibt es so<br />

erstaunlich menschlich. Keine Routine bisher, keine versnobten Kellner,<br />

elitären Gesten, ausschließende dress codes. Eine tolle, hochgewachsene<br />

Blondine im schwarzen Abendkleid weist einen ein, führt einen z<strong>um</strong> Tisch,<br />

kann aber dabei ka<strong>um</strong> gehen: das Kleid zwickt, die Schuhe sind zu groß,<br />

und eigentlich studiert sie Bühnenbild, Medienwissenschaften und<br />

Umweltästhetik an <strong>der</strong> H<strong>um</strong>boldt Uni. Dazu als Hobby wissenschaftlichen<br />

Buddhismus an <strong>der</strong> Fernuniversität von Lhasa.<br />

So eine würde an <strong>der</strong> Düsseldorfer Edelmeile "Kö" nicht Empfangsdame<br />

eines Fünf-Sterne-Restaurants werden können. In Berlin Mitte gerade.<br />

Wer würde sie hier nicht lieben?<br />

An den langen, mit doppelten Tischtüchern aus Damast bedeckten<br />

Tischen, sitzen wirklich attraktive und gebildete Frauen. Die Männer sehen<br />

teilweise häßlich aus, teilweise wie Models, aber die Frauen - ausnahmslos<br />

schön. Eine neue Kategorie von Mensch, international, selbstbewußt,<br />

natürlich. Die Top Partien dieser herrlichen Bel Etage müssen eben ALLES<br />

haben: Geschmack, Kapital, alten familiären Hintergrund - und gutes<br />

Aussehen. Die Männer müssen dazu noch erfolgreich sein. Die<br />

Mittdreißiger Erfolgsmänner tragen Britpopfrisuren und Maßanzüge, die<br />

eher spärlich eingestreuten Künstler erkennt man an den schulterlangen<br />

Haaren und dem Bemühen, wie <strong>der</strong> schon geschil<strong>der</strong>te abgehalfterte<br />

Südstaaten-General Dash Snow auszusehen:<br />

verroht und dem Wahnsinn nahe. Das gelingt lei<strong>der</strong> nicht jedem. Ist auch<br />

nicht leicht in diesem blitzsauberen 60er Jahre-Retro-Lokal, in dem <strong>der</strong><br />

spirit aus Leichtigkeit, Freiheit und absolut perfektem Stil einen anweht.<br />

Alle Frauen rauchen, was ihnen gut steht, und nichts ist verraucht, da<br />

Klimaanlage. Durch Panoramafenster sieht man draußen die Spree fließen.<br />

Rote 60er Jahre Lampen neben den Tischen machen das Licht gemütlich.<br />

Das ungekünstelte Lachen <strong>der</strong> Frauen, die sonoren Stimmen <strong>der</strong><br />

mächtigen Männer, natürlich keinerlei Musik, und machmal Satzfetzen, in<br />

denen Worte vorkommen wie Barbara Gladstone... Larry Googosian...<br />

David Zwirner... Anton Kern... et cetera... a nice place to be!<br />

Will man mit den Bil<strong>der</strong>n und <strong>der</strong> Kunst allein sein, muß man mittags<br />

kommen. Erst <strong>um</strong> elf Uhr öffnen die Galerien, vorher erholen sich ja die<br />

Nachtschwärmer noch vom Ausgehen. Es ist wichtig, mit <strong>der</strong> Kunst allein<br />

zu sein, denn sie gibt einem unendlich viel. Und es ist anregend, mehrere<br />

Galerien hintereinan<strong>der</strong> zu sehen. Z<strong>um</strong> Beispiel C.F.A., Hetzler, Arndt und<br />

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