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Joachim Lottmann Auf der Borderline nachts um halb eins. Mein ...

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Sogar Männer können sich also manchmal wie vernünftige Wesen<br />

benehmen! Naja, ich wollte ja auch etwas von ihr. Ich wollte nicht, daß sie<br />

SOFORT loslegt mit <strong>der</strong> Bestrafung (sie hatte ihr Equipment auch gar nicht<br />

mit). Erst wollte ich ein bißchen reden.<br />

Das aber ging nicht. Welches Thema ich auch anschlug - sie reagierte<br />

schwach o<strong>der</strong> gar nicht. Ein Kompliment - sie starrte nur auf die Wiese.<br />

Eine Bosheit - sie sagte nichts dazu (stattdessen antwortete Herrndörfer<br />

sehr kundig). Ein Vorschlag - keine Antwort. Eine These zu einem Film -<br />

keine Antwort. Eine Einladung zu einem Event - Schweigen. Eine<br />

Erlebnisschil<strong>der</strong>ung aus dem eigenen Leben - keine Reaktion, später eine<br />

kleine, bemühte, semantisch verrenkte Gegenrede, die mitten im Satz<br />

abbricht. Wie<strong>der</strong> ein Kompliment, diesmal maßlos übertrieben - unsicheres<br />

Abwarten. Ein Kuß - sie erstarrt nur. Ein Vorwurf - sie versteht nur<br />

Bahnhof. Ein Gesprächsversuch über Religion - sie sagt ein paar Sätze,<br />

äußert mattes Verständnis. Ein Gesprächsversuch über Else Buschheuer -<br />

kennt sie gar nicht (dafür aber Herrndörfer, <strong>der</strong> begeistert zu diskutieren<br />

beginnt).<br />

Ein Gesprächsversuch über den Film 'Almost Famous' - kennt sie nicht<br />

(wohl aber Herrndörfer, <strong>der</strong> begeistert gegenhält). Und so weiter. Immer<br />

Herrndörfer.<br />

Nie Passig. Die schien so sehr vieles gar nicht zu KENNEN, was mich<br />

nachdenklich machte. War es wirklich so? O<strong>der</strong> waren es nur verschiedene<br />

Welten? Hätte ich ebenso nichts von dem gewußt, was sie vielleicht<br />

gefragt hätte? Aber wieso wußte <strong>der</strong> junge Herrndörfer dann alles? Der<br />

kam doch aus IHRER Welt. Und wieso schrieb sie dann so gut, wenn sie<br />

doch nichts wußte? Konnte man ungebildet UND ein Schreibgenie sein?<br />

Das hatte ich ja noch nie gehört. Sicher irrte ich mich. Mit äußerster Kraft<br />

wi<strong>der</strong>stand ich dem Wunsch, immer weiter mit Herrndörfer zu disputieren,<br />

zuletzt über Karen Duve, einer alten Freundin, <strong>der</strong>en Partei gleichwohl er<br />

leidenschaftlich und nicht ich ergriff, sodaß wir aufsprangen und die Arme<br />

in die Luft warfen wie Franzosen. Mit zusammengepreßten Lippen setzte<br />

ich mich wie<strong>der</strong> und stellte Kathrin die nächste Frage. Nun muß man<br />

wissen, daß die Stimmung dort eigentlich sehr locker war. Es wurde viel<br />

gelacht, alle fühlten sich wohl, keiner merkte, daß vielleicht irgendwas<br />

nicht so lief, wie es sollte. Und auch ich ließ mich nun gehen und trank ein<br />

Clausthaler. Die Leute mochten und kannten sich. Lacoste und Kathrin<br />

waren halt (und wenn ich das sage, meine ichs nett!) typisch deutsche<br />

Frauen, in dem Sinne: nirgends auf <strong>der</strong> Welt außer in deutschen<br />

Großstädten gab es diesen bestimmten Typ maskuliner und zugleich<br />

männerhassenden Frau, die zu Männern ungefähr das Gefühlsverhältnis<br />

hat wie homophobe heterosexuelle Männer zu Schwulen. Nun können<br />

homophobe heterosexuelle Männer die besten K<strong>um</strong>pels, zuverlässigsten<br />

Kameraden, treuesten Charaktere sein, echte, authentische Helden, Stolz<br />

einer Gemeinde, Vorbild für die Jugend. Und das gilt natürlich auch für<br />

Kathrin und Lacoste. Ich bin mir sicher, daß man sich auf <strong>der</strong>en Wort<br />

verlassen kann, daß sie gerecht, demokratisch und in je<strong>der</strong> Hinsicht<br />

anständig sind. Und selbstverständlich achte und verehre ich das. So wie<br />

ich früher John Wayne verehrt habe und Gary Cooper. Solche Charaktere<br />

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