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Joachim Lottmann Auf der Borderline nachts um halb eins. Mein ...

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Schlitz/Florian Illies<br />

Endlich bekam ich einen <strong>Auf</strong>trag, den ich mir nicht selbst ausdenken<br />

mußte, son<strong>der</strong>n ein Chef, so wie sich das gehört. Ich sollte über ein<br />

Buch von Florian Illies schreiben. Das war eine wirklich leichte<br />

<strong>Auf</strong>gabe, abgesehen davon, dass für mich alle <strong>Auf</strong>gaben leicht waren, bis<br />

auf die, den eigenen Text wie<strong>der</strong> zerstören zu müssen - und das würde<br />

mir auch bei diesem so leichten Thema wie<strong>der</strong> blühen. Ich fuhr in einen<br />

Ort in Süddeutschland namens "Schlitz", in dem das Buch spielte. Dort<br />

lief ich zwei Tage lang r<strong>um</strong>, sprach Leute an, machte mir Notizen. Es<br />

begann ganz gut, nämlich mit <strong>der</strong> Anreise, die absurd schwierig gewesen<br />

war. Im Notfall konnte ich das schreiben, Stichwort "das Ende <strong>der</strong><br />

Welt". Dann erzählte mir <strong>der</strong> Taxifahrer, was für eine fiese Möp <strong>der</strong><br />

Autor gewesen war, über den ich berichten mußte. Also ich schloß das<br />

deduktiv aus seinen Aussagen, seinem Gesicht dabei, seinem Befremden.<br />

Er war angeblich mit Illies zur Schule gegangen, hatte jahrelang<br />

regelmäßig die Nachmittage im Hause <strong>der</strong> Illies verbracht, legte aber<br />

entschieden Wert darauf, ihm dabei menschlich und persönlich nicht<br />

nahegekommen zu sein. Nun muß ich eines gestehen: mein Verhältnis zu<br />

dem Autor war zu diesem Zeitpunkt schlecht. Aus vielerlei Gründen.<br />

Zuallererst natürlich, weil ich diverse Male von ihm gekränkt worden<br />

war. Objektiv hatte ich dabei selbst schuld gehabt. Normalerweise macht<br />

mir so etwas nichts aus. Aber einmal hatte ich mich für meine Frau<br />

verwendet, und erlebte dann, wie er mich noch mehr geringschätzte als<br />

vorher. Mir vorzustellen, dass er womöglich auch meine Frau in diese<br />

Geringschätzung miteinbezog, machte mich rasend. So ist es ja immer:<br />

selbst angegriffen zu werden, macht einem souveränen Menschen nichts<br />

aus, aber wehe, es trifft seine Freunde o<strong>der</strong> gar Familie. Deswegen<br />

hatte ich jetzt z<strong>um</strong> Ressortleiter gesagt: "Ich hasse diesen Mann,<br />

lassen Sie mich den Artikel schreiben." Er lächelte fein und freute<br />

sich. Das würde sicher ein toller <strong>Lottmann</strong>text werden.<br />

Aber, seien wir ehrlich, Florian Illies war auch ohne dem eine<br />

fragwürdige Gestalt. Ein geistiges Leichtgewicht par excellence.<br />

Niemand verkörperte wie er diese fipsige, wertelose, infantil<br />

gebliebene Zwischengeneration "Golf", über die er unfreiwillig<br />

selbstentlarvend geschrieben hatte. An<strong>der</strong>erseits war aber gerade sein<br />

neues Buch, über das ich schreiben sollte, richtig gut geworden. Ich<br />

mußte also das gute Buch verreißen, <strong>um</strong> den Autor <strong>der</strong> vorangegangenen<br />

schlechten Bücher zu treffen. Das war ein Manöver, das mich, ob man mir<br />

das glaubt o<strong>der</strong> nicht, unglücklich machte. Ich schrieb meinen Bericht<br />

vor Ort, in nur einer Stunde, und traf dann noch durch einen Zufall<br />

Jugendliche, die mir entscheidendes neues Material lieferten. Sie<br />

legten glaubhaft dar, dass alles, was in Illies Buch stand, komplett<br />

überholt war und somit die reine Lüge. Indem ich diese Dinge noch<br />

aufnahm, verpaßte ich meinen Zug, <strong>der</strong> mich zurück nach Hamburg bringen<br />

sollte, wo ich die Pressevorführung von "Superman III" sehen sollte.<br />

Das war äußerst wichtig. Ich sollte o<strong>der</strong> wollte nämlich ins Filmressort<br />

wechseln, was seit Jahrzehnten mein eigentliches Ziel gewesen war. Es<br />

war das einzige Gebiet, von dem ich etwas verstand. Also eine<br />

SPIEGEL-übliche Kompetenz besaß. Ich war zehn Jahre lang jeden Abend<br />

ins Kino gegangen, besaß in meiner Wohnung einen Vorführra<strong>um</strong> und ein<br />

Filmarchiv mit beispielsweise 200 deutschen Filmen aus den 30er und<br />

40er Jahren. Für DIE ZEIT hatte ich schon als Student in den 80er<br />

Jahren geniale Filmkritiken geschrieben, über Blockbuster, was damals<br />

noch als unmöglich galt. Ich behandelte die großen, das globale<br />

Massenbewußtsein konstituierenden Hollywoodfilme wie an<strong>der</strong>e<br />

Kulturprodukte, etwa aus <strong>der</strong> Weltliteratur. Beim SPIEGEL lag das<br />

Filmressort allerdings bei Lars Olav Beier in festen Händen. Wäre<br />

dieser Kollege wie die an<strong>der</strong>en gewesen, hätte ich niemals eine Chance<br />

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