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Joachim Lottmann Auf der Borderline nachts um halb eins. Mein ...

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zu lockern. Eigentlich sind ihre Gesichtszüge makellos und wie mit<br />

dem Bleistift gezeichnet, auch ihr Mund, doch ihre nordisch<br />

schmalen Lippen zieht sie noch weiter in den Mund hinein, o<strong>der</strong><br />

preßt sie streng aufeinan<strong>der</strong>, sodaß sie ganz zu verschwinden<br />

scheinen in diesem freudlosen, ungeschminkten, blassen<br />

Schnappverschluß, in den das Bonfini-Essen wan<strong>der</strong>t. Es ist<br />

trotzdem ein manchmal eindrucksvolles Gesicht, und zwar immer<br />

dann, wenn Alexa programmatisch über die Familie spricht. Die<br />

Familie als Lebensentwurf und Weltanschauung. Dann kommt Stahl<br />

in ihre Stimme, und die Sätze werden präzise, elegant,<br />

durchdringend, bekommen die Kraft des Manischen. Es sind diese<br />

Momente, an denen <strong>der</strong> Abend über sich hinauswächst, nicht nur<br />

schön ist, son<strong>der</strong>n historisch schön. Denn es ist ja keineswegs nur<br />

manisch, wenn Alexa z<strong>um</strong> Höhenflug ansetzt, son<strong>der</strong>n zugleich<br />

gelebte Realität, auf allen Ebenen, zu hun<strong>der</strong>t Prozent. Mit einer<br />

beispiellosen Konsequenz zieht sie ihr Leben durch, eine geglückt<br />

amalgierte Doppelexistenz aus Künstlerbiographie und perfekter<br />

Kleinfamilie. Darin ist sie ihrer Zeit voraus, das macht sie mo<strong>der</strong>n.<br />

Soviel Familie war seit den Manns nicht mehr, aber genau soviel<br />

Familie werden wir bald überall bekommen.<br />

Auch ihr neuer Roman ´Risiko´ drückt diese Familienbesessenheit<br />

kongenial aus. Man wird dort auf hun<strong>der</strong>ten und aber hun<strong>der</strong>ten<br />

von Seiten keinen Satz finden, keinen Gedanken, <strong>der</strong> nicht<br />

durchdrungen ist davon. In gewisser Weise ist es eine<br />

Kampfansage an jede Art von Intellektualismus, was aber nicht zu<br />

verwechseln ist mit <strong>der</strong> Haltung <strong>der</strong> Autorin. Die handelnden<br />

Personen sind von einer intellektuellen Armut, dass man als Leser<br />

schreien möchte. Und doch spürt man: so ist es eben. Jetzt haben<br />

wir es, was wir immer gewollt haben. Unsere Schuld, dass wir von<br />

<strong>der</strong> Leyen so zugejubelt haben. Und es ist spannend, dieses Buch.<br />

´Spannend´ nicht im neudeutschen Sinne, son<strong>der</strong>n im guten alten:<br />

es hält einen in Atem. Man will es zuende lesen. Man glaubt ihm<br />

jedes d<strong>um</strong>me Wort.<br />

Alexa, die schon von Anfang an, von ihrem Erstling ´Relax´ an,<br />

bewiesen hat, dass sie schreiben kann, sogar packend schreiben<br />

kann, wird nicht in den Verdacht geraten, sie sei so d<strong>um</strong>m wie ihre<br />

Romanfiguren. Der Zusammenhang von echter Literatur und<br />

echtem Leben ist ja viel verwirren<strong>der</strong>. Erklären kann man das<br />

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