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Joachim Lottmann Auf der Borderline nachts um halb eins. Mein ...

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Hannelore Kohl ist bekanntlich an einer Krankheit namens Lichtallergie<br />

gestorben. Sie hat sich nicht gekillt, weil <strong>der</strong> Alte sie schlecht behandelte,<br />

wie <strong>der</strong> stern behauptete, nein. Sie ertrug das Licht nicht, und eines<br />

Tages wurde sie immun gegen das Gegenmittel (Al<strong>um</strong>ini<strong>um</strong>hydroxid),<br />

mußte immer im Keller bleiben, was auf die Dauer doof war. Die Parallele<br />

zu mir liegt auf <strong>der</strong> Hand: Das Soziale war für mich das Licht, gegen das<br />

ich allergisch war, und <strong>der</strong> ruhende, mir nichts Böses wollende junge<br />

Frauenkörper das Gegenmittel. Ein alter Frauenkörper o<strong>der</strong> auch ein Tier<br />

wirkten nicht, da ich mich vor beidem fürchtete. Alte Frauen gemahnten<br />

mich an meine Mutter, die den armen Vater so gequält hatte, und Tiere<br />

waren geistesgestört und übertrugen Krankheiten. Nur überirdisch<br />

blonde, kratzerfreie Engel brachten die optimale Wirkung, Wesen wie die<br />

somnambule Cathérine Deneuve von 1964 o<strong>der</strong> die zugekokste Ariane<br />

Sommer ohne Slip auf <strong>der</strong> Stretchlimo-Rückbank von 2002. Frauen auf<br />

Drogen waren sowieso gut. Wenn sie in die tiefen Kissen versanken und<br />

in die endlose Ferne des Dämmers... aber greifen wir nicht vor, bleiben<br />

wir bei Hannelore Kohl und meiner Lichtallergie. Diese Eva fast hand<br />

Maria hatte also einen Nervenzusammenbruch bei mir herbei geführt.<br />

Was bedeutete das? Ich konnte fortan an<strong>der</strong>t<strong>halb</strong> Jahre lang nicht allein<br />

sein, <strong>nachts</strong> nicht schlafen, nicht schreiben, nicht Geld verdienen, und ich<br />

befand mich die ganze Zeit in einem Zustand <strong>der</strong> Angst. Das war wirklich<br />

nicht schön. <strong>Mein</strong>e Freunde halfen mir, doch tatsächlich wußte niemand,<br />

wie es wie<strong>der</strong> aufwärts gehen solle mit mir, am wenigsten ich. Damals<br />

war es noch nicht üblich, junge Leute z<strong>um</strong> Psychiater zu schicken. Man<br />

hielt Zustände wie meine für normale Erscheinungen einer<br />

Selbstfindungsphase. Da ich so kaputt war, gelang es mir nicht, Frauen<br />

für die Nacht aufzutreiben, schon gar keine blonden und auch keine mit<br />

mächtigen, straffen Brüsten. Wenn ich es versuchte, dachten sie, ich<br />

wolle bloß mit ihnen ins Bett und wandten sich angeekelt ab (genau wie<br />

dieDeneuve in Ekel, daher <strong>der</strong> Titel). Also, sie dachten, ich wolle sie<br />

penetrieren. Sie waren besessen von dem Gedanken. Hätte ich gesagt,<br />

ich wolle bloß neben ihnen liegen während sie schlafen und das blöde<br />

Penetrieren mache ich bloß so nebenbei, hätten sie wie<strong>der</strong> hysterisch<br />

gelacht wie Eva Fasthand und mich in die nächste Bedrouille getrieben.<br />

Ich hatte also kein "Gegenmittel" mehr. <strong>Mein</strong>e ratlosen Freunde nahmen<br />

mich auf Partys mit. Diedrich Die<strong>der</strong>ichsen nahm mich JEDEN ABEND mit<br />

in eine Bar mit vielen Menschen. Mit an<strong>der</strong>en Worten: Obwohl ohne<br />

Gegenmittel, war ich mehr denn je dem ausgesetzt, was mir so zusetzte<br />

wie Hannelore Kohl das Licht: dem Sozialen. Die Folge war, daß ich fast<br />

ein Jahr lang immer kurz vor <strong>der</strong> Epilepsie und auch dem Selbstmord<br />

stand. Ich hatte mir selbst das Versprechen gegeben, genau ein Jahr lang<br />

durchzuhalten. Erst am 20. Januar 1983 wollte ich das Gift nehmen.<br />

Diese Überlegungen wurden irgendwie publik, und meine Freunde<br />

beschworen irgendein Mädchen, sich doch <strong>um</strong> Gottes Willen mit mir<br />

einzulassen. Na, so "irgend<strong>eins</strong>" war es nicht, es war schon blond, sehr<br />

blond sogar und gut bestückt. Vom 14. Dezember 1982 an hatte ich<br />

wie<strong>der</strong> mein "Gegenmittel". Aber es dauerte bis in den Sommer 83<br />

hinein, bis ich wie<strong>der</strong> ein Gleichgewicht zwischen Geselligkeit und Ruhe<br />

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