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Joachim Lottmann Auf der Borderline nachts um halb eins. Mein ...

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abgestorben. Das waren die Assoziationen, die ich in dem Moment hatte<br />

und die natürlich komplett blöde sein konnten.<br />

Ich ging hin. Schon wie<strong>der</strong> hatte ich keine Einladung. Aber diesmal wurde<br />

ich nicht durchgewunken. Hun<strong>der</strong>te von fabrikneuen BMW-Siebener-L-<br />

Limousinen standen vor dem Lustgarten und dem Berliner Dom. Ich sah,<br />

wie vor mir Leute abgewiesen wurden und verzweifelt-unschlüssig vor den<br />

hohen Stahlgittern verharrten, die die Polizei errichtet hatte. Ich erkannte<br />

sogar Leute, die in gewisser Weise fast prominent waren, etwa Mathias<br />

Döpfner, Michael Mronz, Peter Limbourg und Vicky Leandros. Wenn DIE<br />

schon nicht reindurften, dann durfte ich es erst recht nicht. Z<strong>um</strong>al genau<br />

an dem Morgen Bild ein briefmarkengroßes Portrait von mir veröffentlicht<br />

hatte, mit den Worten ‚Schreibt ein neues Buch: Kult-Dichter Johannes<br />

Lohmer (45) mit BILD-Hostess Julia Vetter (21)’. Da hatte ich wohl zufällig<br />

neben einem <strong>der</strong> Zigaretten-Mädchen gestanden und mich festgequatscht.<br />

Weil das die einzigen Nicht-Geronots da waren. Ich konnte nur beten,<br />

dass die Naomi es nicht entdeckte. Na, die würde eher Harakiri begehen<br />

als die verhaßte BILD Zeitung auch nur anzufassen...<br />

Was also tun? Der Trubel und <strong>der</strong> Polizeischutz waren größer als beim<br />

Clinton-Besuch vor einigen Jahren. Gut, da war Clinton bereits<br />

Privatmann. Es war leichter, als Terrorist mit zwei Kilo Sprengstoff in eine<br />

Lufthansa-Maschine zu kommen, als hier ohne Einladung ins Sommerfest.<br />

Schließlich sprach ich einen Gast an, <strong>der</strong> das Sommerfest bereits verließ,<br />

ob er mir nicht seinen festgetuckerten Armreifen überließ. Er tat es. Mit<br />

dem Ding am Handgelenk konnte ich im Prinzip lässig durch die Kontrollen<br />

laufen. Ich sah aber, dass vor mir jemand, <strong>der</strong> genau das tun wollte,<br />

festgehalten wurde. Er mußte erneut nicht nur seine schriftliche Einladung<br />

zeigen, son<strong>der</strong>n auch seinen Personalausweis und seine Tasche, die nach<br />

Waffen untersucht wurde. Ich verzichtete daher auf komplizierte Manöver<br />

und wartete lieber, wie im Fußball, auf die Sekunde für den tödlichen<br />

Pass, für die geniale, imaginierte Vorlage. Als die Pitbulls am weitesten<br />

auseinan<strong>der</strong>standen, lief ich los, erst gegen die Laufrichtung des einen,<br />

dann gegen die des nächsten, immer so weiter, und immer das linke<br />

Handgelenk mit dem ZDF-Bändchen locker <strong>halb</strong>hoch in Gesichtshöhe<br />

haltend. Sie koordinierten sich falsch, die Ordner, und niemand wußte,<br />

wer von ihnen nun für mich zuständig sein sollte. So kam ich hinein.<br />

Diese Leute hatten wirklich Geschmack. Das schönste Areal <strong>der</strong> Stadt<br />

hatten sie sich gesichert. Die Spree floß ruhig an den alten Arkaden<br />

vorbei. Hier hatte schon <strong>der</strong> Ur-Lohmer seine schönsten Stunden<br />

verbracht, in den Wandelgängen <strong>der</strong> Muse<strong>um</strong>sinsel, wacker diskutierend<br />

mit dem jungen Fichte und dem unschicklich heterosexuellen Jacobi. Doch<br />

statt erbaulicher Kammermusik gewahrte ich nun eine Musik, die noch<br />

scheußlicher war als die <strong>der</strong> Bild-Fuzzis, nämlich live gespielten Swing<br />

Jazz. Es handelte sich natürlich nicht <strong>um</strong> eine Big Band - soviel Stil konnte<br />

das ZDF nicht haben - son<strong>der</strong>n <strong>um</strong> eine Combo, die einfach nur<br />

abgegriffene Assoziationen aus schlechten Woody-Allen-Filmen hervorrief.<br />

Mit dieser Musik konnten noch nicht einmal schlechte Art-Direktoren<br />

schlechte Kino-Eiswerbung machen - <strong>um</strong> das Grauen in höchster Potenz<br />

gleich einmal anzuführen. Nicht 'In the Mood' wurde versucht, was auch<br />

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