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Joachim Lottmann Auf der Borderline nachts um halb eins. Mein ...

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trotzdem, und zwar zu Hauf. Sie kommen aus New York, Amsterdam, Tel<br />

Aviv, und sie entdecken Berlin. Noch immer geblendet von den hohen<br />

Preisen, die die Vorgänger-Generation erzielt, Baselitz, Lüppertz, Polke,<br />

Immendorff, betrachten sie die neuen Deutschen, Tim Eitel, Neo Rauch,<br />

Andreas Gurski, Thomas Demand, vor allem aber Meese, Meese, und<br />

immer wie<strong>der</strong> Meese. Der malt so schön deutsch! Während Kippenberger<br />

noch titelte "Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz erkennen", fällt<br />

es bei Meeses Arbeiten verteufelt schwer, an etwas an<strong>der</strong>es zu denken als<br />

an den braunen Abgrund. Den <strong>der</strong> Künstler deswegen ja nicht gutheißt, im<br />

Gegenteil.<br />

Galerien sind weißgestrichene Rä<strong>um</strong>e, in denen keine Möbel stehen und<br />

auch sonst keinerlei Gegenstände, die ein Interesse wecken könnten, und<br />

in denen Bil<strong>der</strong> an den Wänden hängen. Manchmal stehen auch<br />

Skulpturen auf dem teppichlosen, neutral in Grau lackierten Boden. Die<br />

Wand zur (August-)Straße hin ist meist durchsichtig, also ein großes<br />

Schaufenster. Galerien verkörpern das Prinzip <strong>der</strong> Höflichkeit: "Après<br />

vouz, madam". Sie fühlen sich ganz im Dienste <strong>der</strong> Kunstwerke, wollen<br />

selbst ganz in den Hintergrund treten. Das macht alle dennoch im Ra<strong>um</strong><br />

befindlichen galerie-eigenen Details so sympathisch, etwa den weiß<br />

gestrichenen Stromzähler, den weiß abgedeckten Kin<strong>der</strong>schreibtisch <strong>der</strong><br />

diensttuenden Angestellten, o<strong>der</strong> die Angestellte selber, im weißen<br />

Hosenanzug, ohne Schmuck.<br />

Wie<strong>der</strong> draußen, ein paar Meter weiter im Auto zur nächsten Galerie,<br />

"Eigen + Art", Auguststraße 26. Fünf mitgenommene Kunstfreunde<br />

steigen lärmend aus, <strong>der</strong> Motor läuft noch, was nicht nötig wäre, also noch<br />

ein paar Sekunden länger, obwohl <strong>der</strong> Wagen schon eingeparkt ist, sauber<br />

auf dem Behin<strong>der</strong>tenparkplatz. Ein Anwohner h<strong>um</strong>pelt schmerzverzerrt<br />

heran, einer von diesem letzten Prozent wohl, ein Ureinwohner o<strong>der</strong> Ur-<br />

Anwohner? Ein Behin<strong>der</strong>ter, <strong>der</strong> seinen Parkplatz verteidigt? Ein<br />

Wie<strong>der</strong>gänger Herbert Wehners? Er brüllt, <strong>der</strong> Motor solle gefälligst sofort<br />

abgestellt werden, man wolle wohl mit dem Scheiß-CO2 das ganze Viertel<br />

verpesten. Er meinte: das ganze Welt-Klima.<br />

Man gehorcht. Aber lange wohnt <strong>der</strong> nicht mehr da. Rä<strong>um</strong>ungsklage läuft.<br />

Der neue Besitzer, eine Kult-Galerie aus München, hat Eigenbedarf<br />

angemeldet. "Eigen + Art" vertritt Tim Eitel, Neo Rauch, Martin E<strong>der</strong>,<br />

Birgit Brenner, Ricarda Roggan und zehn weitere Stars <strong>der</strong> Leipziger<br />

Schule. Sie haben sogar eine Verkaufsstelle in Leipzig. Die ganze<br />

Kunstwelt blickt auf diese Galerie, die aus dem Nichts heraus entstand.<br />

Lebenswerte Welten sind immer auch solche, in denen voraussetzungslose<br />

<strong>Auf</strong>stiege möglich, ja üblich sind. Johanna Neuschäffer diskutiert geduldig<br />

die Motive ihrer Künstlerin, mit leiser Stimme, eher still als beredt, damit<br />

die Arbeiten nicht bevormundet werden. Die junge Frau hat das naturrote<br />

Haar zurückgebunden. Das schöne Gesicht ist unbehandelt wie das auf<br />

einem altflämischen Gemälde. Ein weites, unscheinbares Kleid verhüllt den<br />

grazilen Körper. So entsteht <strong>der</strong> Wunsch, jemanden zu malen; nicht <strong>der</strong>,<br />

einen Drink auszugeben. Und so ist es wohl immer schon gewesen.<br />

Und abends wie<strong>der</strong> Party. Das machen nicht alle Galeristen mit. Auch<br />

nicht alle, die beruflich in Sachen Kunst in Berlin sind. Es ist ein Beruf,<br />

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