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Joachim Lottmann Auf der Borderline nachts um halb eins. Mein ...

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Ich kann mich nicht darauf konzentrieren, was er sagt. Er spricht zu<br />

schnell und immer abstrakt. Seltsam, denn früher hatte ich ihn<br />

verstanden. Er war <strong>der</strong> Mensch, <strong>der</strong> so schön vermitteln konnte, zwischen<br />

Publik<strong>um</strong> und Kunst, z<strong>um</strong> Beispiel 1982, in <strong>der</strong> 'Besucherschule' <strong>der</strong><br />

doc<strong>um</strong>enta. Nun rauscht es nur noch. Kluge Sätze branden an mein Ohr,<br />

schon nach wenigen Minuten kann ich nicht mehr zuhören. Zuviel, zu<br />

schnell, zu monoton. Er will mir diese Kunstwerke erklären, aber ich<br />

verstehe nur Bahnhof. Ich bin blöd.<br />

Zwischendurch scheint er selbst von seiner Vortragsweise gelangweilt zu<br />

sein. Er beginnt seine Sätze zu modulieren, zu plärren, zu flüstern. Es sind<br />

Sätze aus über vier Jahrzehnten Lehrtätigkeit. Fragen sind nicht<br />

zugelassen. Ich habe mir 53 aufgeschrieben, bin aber zu erschlagen, <strong>um</strong><br />

sie stellen. Der Mann ist einfach zu vital für mich.<br />

Er ist auch zu angeberisch. Wahrscheinlich denkt er, wenn er es so direkt<br />

anspricht, hätte es Charme. Alles habe er schon vor zehn, 20, 30 o<strong>der</strong> 40<br />

Jahren vorgeführt, was heute erst in Mode komme. So habe er Frank<br />

Schirrmachers Methusalem-Komplott schon vor 15 Jahren aufgetan und<br />

dem damals blutjungen FAZ-Herausgeber in den Block diktiert. Der aber<br />

habe sich niemals bedankt.<br />

Das ist erstaunlich. Dank kam eigentlich selten auf bei jenen Brock-<br />

Schülern, die durch ihn Trendsetter, Heroen des Kunst- und des<br />

Theoriebetriebs wurden, etwa Kippenberger und die Neuen Wilden <strong>der</strong><br />

Malerei, Diedrich Die<strong>der</strong>ichsen, Gerhard Merz, Neo Rauch, Christian Boros<br />

– die Liste ist endlos, denn B.B. lehrt ja immer noch. Seine Wirkung auf<br />

die heutigen Entschei<strong>der</strong> <strong>der</strong> Medienwelt ist beispiellos. Trotzdem war <strong>der</strong><br />

Superstar <strong>der</strong> 60er und 70er Jahre vom öffentlichen Radar verschwunden.<br />

War<strong>um</strong>? Irgendwann, wenn er einmal Atem holt, werde ich ihn fragen!<br />

Brock redet und redet und langweilt sich dabei. Über Navigatoren,<br />

Radikatoren, Mo<strong>der</strong>atoren, die Installation eines Theoriegeländes, die<br />

Geschichte von Steuerungstechniken, die Ästhetik des Unterlassens, die<br />

Kritik <strong>der</strong> Wahrheit, den Ausblick des Läuterungsbergs, die Anmerkungen<br />

eines Unpolitischen, also über Thomas Mann und Sloterdjik und Berlusconi<br />

und Sophokles und die Mainzelmännchen und so weiter. Mal spricht er<br />

griechisch, mal Latein, mal aramäisch, meistens aber kommt er aufs<br />

Deutsche zurück.<br />

Mir klingeln die Ohren. Er spricht in Wortschöpfungs-Ketten. Fällt es schon<br />

schwer, Reihen von Abstrakta blitzschnell aufzunehmen, wird es zur<br />

Tortur, wenn es sich dabei <strong>um</strong> NEUSCHÖPFUNGEN handelt. Es wird zu<br />

einer Fremdsprache, die man nur als Brock-Schüler in acht harten<br />

Semestern lernt. Aber ich bin kunstresistent, immer schon. Und ich hatte<br />

Brock gemocht, gerade deswegen. Doch nun steht er da und ist für mich<br />

nicht mehr Bazon Brock, das lebende Kunstwerk, <strong>der</strong> geniale Schwätzer,<br />

<strong>der</strong> Mittler zwischen den Welten, son<strong>der</strong>n Minher Peeperkorn aus dem<br />

'Zauberberg'. Also einer, <strong>der</strong> neben einem Wasserfall steht und dessen<br />

Worte vom Rauschen verschluckt werden. Es rauscht und rauscht, mir<br />

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