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Joachim Lottmann Auf der Borderline nachts um halb eins. Mein ...

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den Bor<strong>der</strong>line Journalismus erfunden. Das ging so: Tom K<strong>um</strong>mer<br />

war <strong>eins</strong>t ein angesehener Mitarbeiter <strong>der</strong> Süddeutschen Zeitung<br />

gewesen. Nicht direkt <strong>der</strong> Zeitung selbst, aber <strong>der</strong> Beilage „SZ<br />

Magazin“, soviel ich weiß. Er war dafür bekannt, große Filmstars<br />

aus Hollywood zu interviewen und das sehr gut zu machen.<br />

Bekanntlich reden diese Mega-Stars immer so aufregend wie große<br />

Fußballstars, z<strong>um</strong> Beispiel wie Michael Ballack. Wer könnte sich<br />

jemals an einen Gedanken erinnern, den Michael Ballack in einem<br />

Interview sagte? Selbst dann, wenn das Interview gerade zehn<br />

Minuten zuvor ausgestrahlt wurde? Natürlich niemand. Weil es gar<br />

keine Gedanken gibt, die man sich hätte merken können. Michael<br />

Ballack hat keine Gedanken. Und die etablierten Mega-Stars aus<br />

Film und Rockmusik in Hollywood haben erst recht keine. Im<br />

Vergleich zu ihnen ist Ballack so gedankenvoll wie Heidegger. Und<br />

gerade deswegen waren die deutschen Medien so dankbar, in den<br />

Tom-K<strong>um</strong>mer-Interviews manchmal den einen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en<br />

brauchbaren Satz zu finden. Natürlich war immer noch das meiste<br />

<strong>der</strong> übliche Schrott („Madonna ist eine erfolgreiche Frau, aber sie<br />

ist auf dem Boden geblieben“), aber hey, plötzlich glitzerte etwas,<br />

war da ein Wort, das man nicht erwartete, das man noch nicht in<br />

120 an<strong>der</strong>en Madonna-Portraits gelesen hatte, ein winziger<br />

Moment, <strong>der</strong> Bruchteil einer Sekunde, in <strong>der</strong> so etwas wie<br />

Menschlichkeit zu ahnen war. War Madonna (Prince, Whitney<br />

Houston, Angelina Jolie etc.) vielleicht DOCH mehr als nur...<br />

vergessen Sie’s. Die Texte waren getürkt. Die kleinen<br />

Abweichungen hatte Tom K<strong>um</strong>mer erfunden. Eines Tages kam<br />

zufällig heraus, daß in einem Interview mit Judith Roberts ganze<br />

Absätze aus einem Interviewbuch von Andy Warhol eingeschoben<br />

worden waren. K<strong>um</strong>mer redete sich heraus, es sei ein<br />

Computerfehler gewesen, und man glaubte ihm natürlich. Er lebte<br />

in <strong>der</strong> Wüste irgendwo zwischen Los Angeles und Arizona, mit Frau<br />

und Kin<strong>der</strong>n, und er verdiente eine Menge Geld mit seinen Texten,<br />

die manchmal auch recht seltsam waren. Er schrieb nämlich auch<br />

über geheime Weltra<strong>um</strong>experimente <strong>der</strong> NASA, die bei ihm in <strong>der</strong><br />

Wüste stattfanden, und über neue Wun<strong>der</strong>waffen, und über den<br />

Umgang amerikanischer Wissenschaftler mit einem in <strong>der</strong> Wüste im<br />

Jahre 1946 gelandeten echten UFO. Tom K<strong>um</strong>mer war also dieser<br />

typische deutsche 70er Jahre Freak, <strong>der</strong> mit Haschisch, Fritz the<br />

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