Drucksache 14/9852 – 162 – Deutscher B<strong>und</strong>estag – 14. Wahlperiodelicher Akzeptanzbedingungen häufig auch Interessenidentifizieren lassen (Naherholungsinteresse der Wohnbevölkerung,Tourismus), die zumin<strong>des</strong>t teilweise mit Naturschutzzielenübereinstimmen. Deren Vertreter meldensich als schweigende Mehrheit jedoch oft nicht zu Wort,wenn das Thema in der öffentlichen Meinung frühzeitignegativ besetzt wurde. Auf diesen naturschutzkonformenInteressen sollten Koalitionsstrategien aufgebaut werden.6.5.2 Qualitative <strong>und</strong> quantitativeVeränderungen in der Ausstattungder Naturschutzinstitutionen416. Der Einsatz von „weichen“ Naturschutzstrategienerfordert in der Vorbereitung von Maßnahmen <strong>eine</strong>nhöheren Personaleinsatz als ein hoheitliches Vorgehen.Sind die Naturschutzbehörden schon mit der Bearbeitungder hoheitlichen Aufgaben, Stellungnahmen zu Eingriffsvorhabenetc. ausgelastet, scheitert ein anderer Kommunikationsstilbereits an den mangelnden Personalressourcen(s. Tz. 115 ff.). Die personelle Ausstattung derNaturschutzbehörden lässt diesen vielfach nicht die Zeit,<strong>eine</strong> eigene situationsangepasste Strategie zur Umsetzungder Naturschutzziele zu erarbeiten. Parallel dazu stehenauch k<strong>eine</strong> finanziellen Mittel zur Verfügung, um externeBeratung einzuholen (vgl. Abschnitt 5.1.2). Die Strategiefähigkeitder Vertreter von Naturschutzinteressen wird zudemdurch zumeist geringeren politischen Einfluss <strong>und</strong>ein schwächeres Durchsetzungspotenzial im Vergleich zuden Vertretern der Verursacherbereiche Land- <strong>und</strong> Forstwirtschaft,Wirtschaft, Bau, Verkehr, Transport, Sport <strong>und</strong>Tourismus vermindert. Als Voraussetzung für jede neueForm <strong>des</strong> Naturschutzhandelns müssen <strong>des</strong>halb ausreichendepersonelle <strong>und</strong> finanzielle Ressourcen, vor allemdurch die Länder <strong>und</strong> gegebenenfalls die Städte <strong>und</strong>Kreise, bereitgestellt werden. Der Wandel hin zum „kooperativenStaat“ verlangt aber auch, dass den Behördenvertreternmehr Spielraum für Kooperation eingeräumtwird (FÜRST, 2002). Dazu gehört <strong>eine</strong> großzügigereGestaltung der Entscheidungs- <strong>und</strong> Ermessensspielräumenachgeordneter Behörden. Auch Zusatzqualifikationen,wie insbesondere Management- <strong>und</strong> Kommunikationskompetenz,sind für Behördenvertreter hilfreich.Die Bereitstellung ausreichender personeller Kapazitätenfür die neuen Strategien kann auf verschiedenen Wegenerfolgen. Einerseits können weitere Kapazitäten in denNaturschutzbehörden aufgebaut werden. Andererseitswird von vielen Seiten gefordert, nicht die Naturschutzbehördenaufzurüsten, sondern Naturschutzfachleute inden anderen Fachbehörden bereitzustellen, wie in den bereitsgegenwärtig relativ gut ausgestatteten Straßenbaubehördenoder in der Landwirtschaftsverwaltung. Solldas zweite Konzept funktionieren, müssen allerdingszwei Bedingungen erfüllt sein:1. Es muss Naturschutzfachpersonal eingestellt werden;die Beschäftigung von Verwaltungsfachleuten oderdie Übernahme von Mitarbeitern anderer Verwaltungenwie von Straßenbauingenieuren reichen erfahrungsgemäßnicht aus.2. Es müssen ausreichend große personelle Einheiten geschaffenwerden, um tatsächlich <strong>eine</strong> Umsetzung derNaturschutzbelange innerhalb der Fachbehörde bewirkenzu können.Ein drittes, erfolgversprechen<strong>des</strong> Modell kann die Auslagerung<strong>eine</strong>r Vielzahl von Arbeitsfeldern aus der Behör<strong>des</strong>ein. Während diese weiterhin die hoheitlichen Aufgabenübernimmt, könnten neugeschaffene „Landschaftsagenturen“insbesondere solche Aufgaben erledigen, die <strong>eine</strong>hohe Flexibilität im Umgang mit Nutzern <strong>und</strong> anderenAkteuren erfordern. Je nach Problemsituation in <strong>eine</strong>rRegion können diese Agenturen sehr unterschiedlichzugeschnitten sein. Mögliche Aufgabengebiete wärenBeratungstätigkeiten, Pflegearbeiten, Flächen- <strong>und</strong> Maßnahmenmanagement(für die Eingriffsregelung) ebensowie die finanzielle Verwaltung von Kompensationszahlungen,die Zusammenarbeit mit landwirtschaftlichenKooperationen in Wasserschutzgebieten, die Unterstützungvon Verarbeitungs- <strong>und</strong> Vermarktungsinitiativenoder die Akquisition von Fördermitteln. Auch für die Organisation<strong>und</strong> Konstruktion solcher Agenturen sind verschiedeneModelle denkbar. Kommunen, der ehrenamtlicheNaturschutz oder Wasserversorger können sichebenso beteiligen wie Vertreter der Landnutzer.6.5.3 Das Konzept <strong>eine</strong>r differenziertenLandnutzung als Gr<strong>und</strong>lageder Strategiebildung417. Während die vorgenannten Strategiebaust<strong>eine</strong> unabhängigvon räumlichen Zusammenhängen gelten, mussein effektives strategisches Vorgehen <strong>des</strong> <strong>Naturschutzes</strong>darüber hinaus auch an die räumlichen Bedingungen angepasstwerden. Als Gr<strong>und</strong>lage <strong>eine</strong>r Naturschutzstrategie,die unterschiedliche Raum- <strong>und</strong> Umsetzungssituationenfür Naturschutzziele in Betracht zieht, eignetsich das Konzept der differenzierten Landnutzung, wiees der Umweltrat mehrfach empfohlen hat (erstmalsHABER, 1971, 1972, 1979; ODUM, 1969; auchSCHEMEL, 1976; SRU, 1987; auch SRU, 1996,Tz. 13 ff.). Dieses Konzept sollte weiterentwickelt werden,wobei Aspekte wie die Rahmenbedingungen derLandnutzer, die problematische Akzeptanz von Naturschutzzielen<strong>und</strong> vor allem die Empfindlichkeit <strong>und</strong>Funktionen <strong>des</strong> Naturhaushaltes zu berücksichtigenwären.418. Unter Zugr<strong>und</strong>elegung der Ziele <strong>des</strong> <strong>Naturschutzes</strong><strong>und</strong> s<strong>eine</strong>r Ansprüche an Raumnutzung <strong>und</strong> -gestaltungkönnen drei Teilstrategien <strong>eine</strong>s modifizierten Konzeptesdifferenzierter Landnutzung (Abb. 6-2) unterschiedenwerden:– Vorrangfunktion für Naturschutz mit a) Totalschutz(k<strong>eine</strong> oder nur sehr eingeschränkte Nutzung) <strong>und</strong> b)mit eingeschränkter Landnutzung,– Integration von Naturschutz <strong>und</strong> Nutzungen (umweltschonendeLandnutzung mit einzelnen Auflagen) <strong>und</strong>– Vorrangfunktion für Nutzungen (Landnutzung unterBeachtung der „guten fachlichen Praxis“).
Deutscher B<strong>und</strong>estag – 14. Wahlperiode – 163 – Drucksache 14/9852Differenzierte Landnutzung <strong>und</strong> situationsangepasste NaturschutzstrategienAbbildung 6-2Bestand,Entwicklungszielefür die NutzungNaturschutzstrategieUmsetzung<strong>und</strong> FinanzierungLandschaftsplanungEntschädigung<strong>und</strong>VertragsnaturschutzMin<strong>des</strong>tzielehoheSchutzwürdigkeit,BestandgeringVerhandlungsspielraumbeiZielgestaltungk<strong>eine</strong>, sehr starkeingeschränkteLandnutzungeingeschränkteLandnutzungumweltschonendeLandnutzungmit einzelnenAuflagenstrengerGebietsschutz(Totalreservat)Vorrangfunktionfür Naturschutz;Gebietsschutz,KooperationNutzungsbeschränkungenKooperationNationalpark,NSGNSG,BiospärenreservatNaturpark nachBNatSchGNeuregGLSG etc.,Vertragsnaturschutz,Förderung vonVerarbeitung,VermarktungBeratungKommunikationwünschenswerteZielegeringeSchutzwürdigkeit, ,BestandhochLandnutzungunter Beachtungder gutenfachlichenPraxisVerhinderung vonFehlentwicklungen(Eingriffsregelung,Raum- <strong>und</strong> Bauleitplanung); begleitendeNaturschutzmaßnahmen,Entwicklung,KooperationAusgleichs<strong>und</strong>Ersatzmaßnahmen,gute fachlichePraxis derNutzungen,BeratungQuelle: von HAAREN <strong>und</strong> VORLITZ, 2002; nach HABER, 1971, 1972, 1979; auch BRINKMANN, 1997; von HAAREN, 1988; ERZ, 1978419. Die Strategiewahl sollte nach naturschutzfachlichenKriterien unter Berücksichtigung <strong>des</strong> zu erhaltendenBestan<strong>des</strong> getroffen werden. In Situationen mit sehrintensiver Nutzung sind in der Regel wenig Elemente mithoher Bedeutung für den Arten- <strong>und</strong> Biotopschutz vorhanden,jedoch können erhöhte Empfindlichkeiten derabiotischen Naturgüter <strong>des</strong> Bodens oder die Lage vonFlächen im direkten Einzugsbereich von Gewässern besondereNutzungseinschränkungen notwendig machen.Darüber hinaus bestehen in solchen Räumen Möglichkeitender Entwicklung von Natur <strong>und</strong> Landschaft. In derNähe von Siedlungen können vorzugsweise die Erholungsfunktionenverbessert werden. Naturschutzziele, dienicht bestimmte Standortbedingungen voraussetzen, könnenschwerpunktmäßig dort umgesetzt werden, wo dieNutzungsbedingungen dies begünstigen, häufig weil derNutzungsdruck ohnehin geringer ist. In der Regel fallendann auch geringere Umsetzungskosten für den Naturschutzan. Konflikte zwischen Naturschutz <strong>und</strong> Landnutzungmüssen also in intensiv genutzten Gebieten nicht inbesonderer Schärfe auftreten. Auf <strong>eine</strong>m Großteil derFläche würde in solchen Regionen die Einhaltung derguten fachlichen Praxis ausreichen, um Gr<strong>und</strong>forderungen<strong>des</strong> <strong>Naturschutzes</strong> zu erfüllen. Die meisten darüberhinausgehenden Naturschutzleistungen könnten von denLandnutzern frei angeboten werden. Auch in der Förderpolitiksollte sich <strong>eine</strong> solche räumliche Differenzierungspiegeln. Flächendeckend sollten lediglich Maßnahmenzur Reduzierung von Schadstoffbelastungen durch Düngemittel<strong>und</strong> Pflanzenschutzmittel (wie der ökologischeLandbau) <strong>und</strong> gegebenenfalls die Anreicherung der Feldflurmit Landschaftselementen gefördert werden.In anderen Räumen muss der Naturschutz dagegen aufgr<strong>und</strong><strong>des</strong> hohen Wertes <strong>und</strong> der Empfindlichkeit derNaturgüter Vorrang erhalten, denn dort ist <strong>eine</strong> stärkereAnpassung der Landnutzungen in der Regel auf ganz bestimmtenFlächen notwendig. Auch hier ist anzuraten, aufnicht prioritären Flächen die gesellschaftliche Nachfragenach Naturschutzleistungen lediglich bekannt zu machen;die Landnutzer erhalten damit die Gelegenheit, freiwilligeAngebote zur Erfüllung der Leistungen zu machen. DieDifferenzierung von Prioritätsräumen, in denen der Naturschutzgegebenenfalls auch mit einschneidenden hoheitlichenMitteln Min<strong>des</strong>tziele verfolgt, <strong>und</strong> weiterenRäumen, in denen <strong>eine</strong> weniger spezifische bzw. dringlicheNachfrage nach Naturschutzleistungen dargestelltwird, erhöht die Akzeptanz der Landnutzer. Wichtig istdie transparente <strong>und</strong> einfach nachvollziehbare Einteilungin die verschiedenen Kategorien.