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Für eine Stärkung und Neuorientierung des Naturschutzes

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Drucksache 14/9852 – 18 – Deutscher B<strong>und</strong>estag – 14. WahlperiodeGeringschätzung naturästhetischer Argumente bei derFestlegung von Naturschutzzielen rechtfertigen. Zumin<strong>des</strong>tin Mitteleuropa scheint den meisten Menschen einErlebniskern gemeinsam zu sein, d. h. ein weithin geteiltesSchönheitsempfinden, aufgr<strong>und</strong> <strong>des</strong>sen sie – bei allerSubjektivität in der Einzelbewertung – gr<strong>und</strong>sätzlich naturnahe,extensiv genutzte, vielfältig strukturierte <strong>und</strong>charakteristische Gebiete sowie Areale mit hohem natur<strong>und</strong>kulturgeschichtlichem Informations- <strong>und</strong> Symbolwertbevorzugen (HOISL et al., 1998; WÖBSE, 2002).Die Gleichrangigkeit wissenschaftlich-ökologischer <strong>und</strong>landschaftsästhetischer Gesichtspunkte in der Landschaftsplanungist daher ungeachtet der unstreitigen Subjektivitätästhetischer Wahrnehmung gut begründet <strong>und</strong> solltenicht infrage gestellt werden. Auch der Schutz <strong>und</strong> dieEntwicklung von Wildnisgebieten können naturästhetischbegründet werden, da die ästhetische Erfahrung unbeeinflussternatürlicher Entwicklung von hohem Wert seinkann. Dies führt zu der Frage <strong>eine</strong>r überzeugenden Begründungder Leitlinie <strong>des</strong> so genannten Prozessschutzes(Tz. 36).17. Stellt man das Naturschöne dem Kunstschönen anBedeutung gleich, so erscheint im Vergleich zu der gesellschaftlichenSubventionierung <strong>des</strong> Kunstschöneneinschließlich der Restaurierung historisch wertvollerGebäu<strong>des</strong>ubstanz die staatliche Finanzierung <strong>des</strong> Schutzesvon Natur <strong>und</strong> Landschaft trotz <strong>des</strong>sen insgesamthoher Breitenwirkung als unzulänglich. Dieser Vergleichsmaßstabsollte bei der Betrachtung der näherenAusgestaltung der Finanzierung <strong>des</strong> <strong>Naturschutzes</strong>(s. dazu Tz. 199 ff.) immer mitbedacht werden.Differenz-Argument18. Das Natürliche bildet <strong>eine</strong>n unverzichtbaren Gegensatzzur Welt der Artefakte <strong>und</strong> zu <strong>eine</strong>r urbanen Technosphäre,von der die meisten Menschen in ihrem Alltag umgebenwerden <strong>und</strong> die zunehmend durch künstlicheBilderwelten („virtual reality“) geprägt wird (Differenz-Argument, vgl. BIRNBACHER, 1998). Die vielgestaltigeAndersartigkeit <strong>des</strong> Natürlichen gegenüber dem von MenschenGemachten stellt <strong>eine</strong> Quelle der Faszination, teilweisesogar der spirituellen Erfahrung <strong>und</strong> Kontemplationdar. Dies betrifft auch Natur, die noch Wildnis ist oder diewieder in Wildnis übergeht. „Die Natur ist das ‚ganz andere‘,mit der wir – <strong>und</strong> vor allem der Großstadtmensch –dennoch <strong>eine</strong> tiefe Verwandtschaft spüren. Die Natur mitihrer Freiheit, ihrem Frieden, aber auch ihrer Spontaneität<strong>und</strong> Wildnis ist die Gegenwelt zur Zivilisation. (...) Dadurchwirkt sie als Katalysator für das Naturhafte in unsselbst <strong>und</strong> als Brücke zum kreativen Potenzial <strong>des</strong> eigenenUnbewussten“ (BIRNBACHER, 1998, S. 31).Heimatargumente19. Heimatargumente sind seit den Anfängen <strong>des</strong> <strong>Naturschutzes</strong>(RUDORFF, 1898) in Deutschland häufig vertretenworden. Sie beziehen sich auf die biographischeIdentität von Personen, sofern diese mit deren Herkunftauf <strong>eine</strong> positive Weise verb<strong>und</strong>en ist, sowie auf weit verbreiteteBedürfnisse nach Vertrautheit, Überschaubarkeit,Bodenständigkeit, Geborgenheit <strong>und</strong> Gemeinschaft. DasLeitbild „Heimat“ <strong>und</strong> das Motiv „Heimatliebe“ sindnach wie vor populär <strong>und</strong> können „libidinös“ besetzt werden(RADKAU, 2000, S. 272). Heimatargumente werdenhäufig in <strong>eine</strong>r globalisierungskritischen Stoßrichtungverwendet. Der Wunsch nach vertrauten Herkunftsweltenscheint nach wie vor <strong>eine</strong> überaus starke Motivationsquellefür Naturschutz zu sein. Angesichts der vorhandenenAkzeptanzdefizite <strong>des</strong> <strong>Naturschutzes</strong> (Kapitel 3)bietet es sich daher an, Ziele <strong>des</strong> <strong>Naturschutzes</strong> mit Heimatargumentenzu rechtfertigen. Heimatargumente sindzumeist Argumente zum Erhalt der Kulturlandschaft mitsamtihren tradierten Formen der Landnutzung. Insbesonderedas Ziel der Erhaltung der „historisch gewachsenen“Eigenart <strong>eine</strong>r Landschaft kann damit begründet werden(KÜSTER, 1999). Es besteht daher <strong>eine</strong> enge Affinitätzwischen dem Ziel der Erhaltung regionaler kulturellerEigentümlichkeiten <strong>und</strong> Heimatargumenten. Diese könntendie Gr<strong>und</strong>lage von lokal erfolgreichen Naturschutzallianzensein (MÖRSDORF, 2001). Diese Argumentesind im Wesentlichen „konservativ“.Natur <strong>und</strong> Landschaft sind allerdings nur Aspekte vonHeimat. Da der Heimatbegriff auch lokale Traditionen,Sitten <strong>und</strong> Gebräuche, Nutzungsformen, Gewohnheitsrechte,Interessen lokaler Eliten usw. umfasst, werdenHeimatargumente k<strong>eine</strong>swegs immer im Sinne von Naturschutzzielenverwendet. Unter Berufung auf Heimatargumentewurde beispielsweise die Novellierung <strong>des</strong>B<strong>und</strong>esnaturschutzgesetzes dahin gehend kritisiert, dasssie Landnutzer <strong>und</strong> Naturschützer auseinander treibe(MÖRSDORF, 2001, S. 33). Weiterhin verknüpfen sichHeimatargumente häufig mit der Ansicht, in erster Liniesollten Einheimische <strong>und</strong> Alteingesessene über Art <strong>und</strong>Ausmaß <strong>des</strong> Landschafts- <strong>und</strong> <strong>Naturschutzes</strong> vor Ort befinden.In Nationalparken wird unter Berufung auf Heimatargumentegegen die dort prioritär zu verfolgendenZiele <strong>des</strong> <strong>Naturschutzes</strong> argumentiert (Tz. 90). Heimatargumentewerden positiv auf den Status quo von Kulturlandschaftenbezogen, ablehnend jedoch auf Prozessschutz<strong>und</strong> die Entwicklung von Wildnisgebieten. Mantrifft hier auf Befürchtungen, Heimat solle in Wildnisverwandelt werden (Kapitel 3).Auch die geistesgeschichtliche Problematik <strong>des</strong> Heimatschutzgedankenssollte nicht übersehen werden. Die konzeptionelleVerbindung von Natur- <strong>und</strong> Heimatschutz, dievor allem durch W. H. RIEHL <strong>und</strong> E. RUDORFF bereits im19. Jahrh<strong>und</strong>ert geknüpft wurde (KNAUT, 1993; OTT et al.1999), war mitverantwortlich für die politischen Verstrickungen<strong>des</strong> deutschen <strong>Naturschutzes</strong> vor <strong>und</strong> nach 1933(s. auch WETTENGEL, 1993). Die ursprünglich eher romantisch-konservativeLinie <strong>des</strong> Natur- qua Heimatschutzesging schon in der Zeit der Weimarer Republiknahezu bruchlos in die völkischen <strong>und</strong> rassistischen Naturschutzbegründungensowie in die „Blut-<strong>und</strong>-Boden“-Doktrin über, wie sie von P. SCHULTZE-NAUMBURG,W. SCHOENICHEN <strong>und</strong> H. F. WIEBKING-JÜRGENS-MANN vertreten wurden (PIECHOCKI, 2002, m. w. N.).Es trifft daher nicht zu, dass der Nationalsozialismus die„an sich gute“ Idee <strong>des</strong> Heimatschutzes für s<strong>eine</strong> Zweckemissbraucht hat; vielmehr ist der Heimatschutzgedanke

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