13.07.2015 Aufrufe

Für eine Stärkung und Neuorientierung des Naturschutzes

Für eine Stärkung und Neuorientierung des Naturschutzes

Für eine Stärkung und Neuorientierung des Naturschutzes

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Deutscher B<strong>und</strong>estag – 14. Wahlperiode – 53 – Drucksache 14/9852Eingriffs- <strong>und</strong> Nutzungsverzichts auf min<strong>des</strong>tens 75 %der Fläche. Unter dieser Zielsetzung sind die deutschenNationalparke in ihrem jetzigen Zustand allenfalls „Zielnationalparke“(SSYMANK, 2000, S. 4). Eine wenigerstrenge Auslegung der IUCN-Kriterien bezieht die 75 %-Forderung nicht auf die Prozessschutzflächen, sondernauf die hauptsächlichen Ziele <strong>eine</strong>s Nationalparks. Eswird k<strong>eine</strong> der beiden Deutungen als „richtig“ vorausgesetzt,da der Wortlaut der IUCN-Publikationen hierDeutungsspielräume belässt. Da die Forderung nach 75 %Prozessschutzflächen aber zurzeit die Diskussion prägt,wird sie im Folgenden vorausgesetzt.Außerhalb der EU werden in die IUCN-Kategorie II beispielsweisedie Parke von Bialowieza (Polen), Canaima(Venezuela), Yellowstone (USA), Kruger (Südafrika)oder Tongariro (Neuseeland) eingestuft. In Norwegen istes zurzeit umstritten, ob Spitzbergen (Svalbard) zurGänze als Nationalpark der Kategorie II ausgewiesenwerden soll, was mittel- oder langfristig bestimmte Formentouristischer Nutzung außerhalb der Siedlungenstark einschränken würde (beispielsweise Fahren mit Motorschlitten).Mehr als die Hälfte der Flächen von europäischenKategorie-II-Gebieten befindet sich in Norwegen<strong>und</strong> dem europäischen Teil der russischen Föderation.Als Min<strong>des</strong>tgröße für Kategorie-II-Gebiete wird häufigein Richtwert von 10 000 ha angegeben (SSYMANK,2000, S. 4). Die Größe <strong>des</strong> Gebietes ist allerdings gemäßIUCN kein zwingen<strong>des</strong> Kriterium für <strong>eine</strong> Einstufung <strong>eine</strong>sSchutzgebietes in Kategorie II (KNAPP, 2001). Entscheidendist vielmehr der Anteil der Totalschutzflächen,auf denen stoffliche Nutzungen auszuschließen sind.Hierunter fallen Land- <strong>und</strong> Forstwirtschaft, aber auchJagd <strong>und</strong> Fischfang (EUROPARC <strong>und</strong> IUCN, 1999,S. 26). Auch sporadische Nutzungen wie das Sammelnvon Pilzen oder Beeren, die in den deutschen Nationalparkenhäufig geduldet werden, sind unzulässig. AlsÜbergangsfristen bis zur Beendigung dieser Praktikenwerden 20 bis 30 Jahre genannt.Da die Kriterien der IUCN für Kategorie II nach der hierzugr<strong>und</strong>e gelegten Interpretation hinsichtlich <strong>des</strong> Anteilsder Prozessschutzflächen strikter formuliert sind als hinsichtlichder absoluten Größe <strong>des</strong> Nationalparkgebietes,kann man auch die Strategie verfolgen, die Gebietsgrößezu reduzieren, um auf diese Weise den prozentualen Anteilder Prozessschutzflächen zu erhöhen <strong>und</strong> dadurchwomöglich die Anerkennung durch die IUCN eher zu erlangen.Ein Beispiel hierfür stellt der Internationalpark„Unteres Odertal“ dar (MÜLLER, 2001). Bei bestehendenNationalparken müssten dieser Strategie gemäß Zonierungengegebenenfalls geändert werden (SSYMANK,2000). Da relativ kl<strong>eine</strong> Nationalparke von größerenRand- <strong>und</strong> Pufferzonen umgeben sein müssen, wenn mannicht <strong>eine</strong> r<strong>eine</strong> Segregationsstrategie betreiben will, verlagertman Probleme nur. Der Umweltrat rät sowohl ausnaturschutzfachlicher Sicht als auch unter Akzeptanzgesichtspunktenvon dieser Strategie ab.97. Mit Ausnahme der Nationalparke Bayerischer Wald,Berchtesgaden sowie, überraschenderweise trotz s<strong>eine</strong>rgeringen Größe <strong>und</strong> s<strong>eine</strong>r touristischen Nutzung,Jasm<strong>und</strong> auf Rügen erfüllen die deutschen Nationalparkedie IUCN-Kriterien für die Kategorie II nicht. Die IUCNstuft die übrigen deutschen Nationalparke in die SchutzkategorieV „Geschützte Landschaften“ ein. Viele andereeuropäische Nationalparke befinden sich ebenfalls in dieserKategorie (beispielsweise Dartmoor, Cévennes u. a.).Im Kontext der Akzeptanzproblematik, aber auch mitBlick auf <strong>eine</strong> umfassende Naturschutzstrategie insgesamtstellt sich daher die Frage, welcher Wert <strong>eine</strong>r Einstufunghiesiger Nationalparke in die IUCN-Kategorie IIzukommen sollte. Viele Naturschützer messen <strong>eine</strong>r solchenEinstufung <strong>eine</strong>n überaus hohen Wert bei <strong>und</strong> verstehendie Einordnung der hiesigen Nationalparke in KategorieV als <strong>eine</strong> Herabstufung in <strong>eine</strong> niederrangigeSchutzkategorie (PANEK, 1999). Erst die Einstufung inKategorie II stelle die internationale Anerkennung als„richtiger“ Nationalpark dar. Das Ziel für die Entwicklungaller übrigen <strong>und</strong> für die noch auszuweisenden Nationalparkemüsste dieser Auffassung nach die schnellstmöglicheErfüllung der geltenden IUCN-Kriterien derKategorie II sein. Weiterhin wird auf der Gr<strong>und</strong>lagedieser Position gefordert, <strong>eine</strong> strenge Deutung derIUCN-Kriterien im § 24 <strong>des</strong> B<strong>und</strong>esnaturschutzgesetzesrechtsverbindlich zu verankern. Vorgeschlagen wird dieFormulierung: „Schutz der natürlichen Dynamik (Prozessschutz)(...) auf min<strong>des</strong>tens drei Viertel der Nationalparkflächein <strong>eine</strong>r möglichst zusammenhängenden Naturzone“(PANEK, 1999, S. 270).98. Hierin liegt ein Zielkonflikt <strong>und</strong> ein „Akzeptanzdilemma“,denn ein Nationalpark, der von der IUCN indie so verstandene Kategorie II eingestuft werden könnte,ist für die lokale Bevölkerung kaum akzeptabel; <strong>und</strong> umgekehrtkann ein Nationalpark, der von der Bevölkerungbreit akzeptiert wird, die IUCN-Kriterien der Kategorie IIwohl kaum erfüllen. Mit dem Bestreben vieler Naturschützer,die Einstufung der Nationalparke in die IUCN-Kategorie II zu erlangen, korrespondiert ein wachsen<strong>des</strong>Defizit an lokaler Akzeptanz. Das Ziel <strong>eine</strong>s Totalschutzesauf 75 % der Nationalparkfläche wäre auch mitder Idee <strong>eine</strong>r partizipativen Einbindung der lokalen Bevölkerungbei der Gestaltung von Nationalparken (imRahmen <strong>eine</strong>r Leitbildentwicklung) nur schwer zu vereinbaren,sofern man voraussetzt, dass diskursive Verfahrennur bei <strong>eine</strong>m tatsächlich bestehenden Gestaltungsspielraumsinnvoll sind (Tz. 109 ff.). Auch die politischenAussichten für die mit guten naturschutzfachlichen Gründengeforderte Ausweisung weiterer Nationalparke insbesondereim Alpenvorland <strong>und</strong> den westdeutschen Mittelgebirgenzur Erhaltung vieler der für Deutschlandrepräsentativen Ökosystemtypen (NABU, 2001, S. 9;SSYMANK, 2000, S. 4) würde sich bei <strong>eine</strong>r strikten Orientierungan den IUCN-Kriterien der Kategorie II allerWahrscheinlichkeit nach nicht verbessern, da unter diesenBedingungen nur wenige B<strong>und</strong>esländer motiviert seindürften, neue Nationalparkausweisungen in Angriff zunehmen. Die Frage nach der genauen Bedeutung <strong>und</strong> dernormativen Verbindlichkeit der IUCN-Kriterien für diedeutschen Nationalparke stellt demnach <strong>eine</strong> über die Akzeptanzproblematikhinausreichende strategische Gr<strong>und</strong>satzentscheidungim Naturschutz dar.

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!