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Für eine Stärkung und Neuorientierung des Naturschutzes

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Drucksache 14/9852 – 24 – Deutscher B<strong>und</strong>estag – 14. Wahlperiodenicht unmittelbar seltene oder gefährdete Arten nachgewiesenwurden. Dieses begründet sich zum <strong>eine</strong>n ausdem Anspruch, möglichst viele Lebensraumtypen zu erhalten<strong>und</strong> zu entwickeln, da damit am besten die darinaktuell oder potenziell lebenden Arten gesichert werdenkönnen. Zum anderen wird die Erhaltung der Vielfalt derLandschaft <strong>und</strong> ihrer einzelnen Bestandteile auch als <strong>eine</strong>igenes Ziel <strong>des</strong> <strong>Naturschutzes</strong> betrachtet, das sowohllandschaftsästhetischen Zwecken dient als auch für dieWissenschaft von Bedeutung ist. So sind bestimmte Böden,geologische Erscheinungen oder Ökosysteme wieMoore in besonderem Maße Archive der Natur- <strong>und</strong> Kulturgeschichte<strong>und</strong> sollten <strong>des</strong>halb erhalten <strong>und</strong> wo möglich<strong>und</strong> mit anderen Schutzzwecken vereinbar der Öffentlichkeitzugänglich gemacht werden (s. Ad-hoc-AGGeotopschutz, 1998).Prozessschutz36. Der Prozessschutz hat viele Anhänger unter Naturschützerngef<strong>und</strong>en <strong>und</strong> ist die oberste Leitlinie fürdie Kernzonen der Nationalparke. Er wird als <strong>eine</strong> wichtigeErgänzung zu den tradierten Zielen <strong>des</strong> <strong>Naturschutzes</strong>verstanden (SCHERZINGER, 1997; STURM, 1993;kritisch POTTHAST, 2001). Der Prozessschutzgedankeorientiert sich an der Zielvorstellung <strong>eine</strong>s Höchstmaßesan Naturnähe. Er bezweckt die Einrichtung weitgehendnutzungsfreier Gebiete <strong>und</strong> ist dem Ziel der Erhaltungoder der Entwicklung von Wildnis verwandt(BIBELRIETHER, 1998).Zeitweilige Pflegemaßnahmen zur Einleitung <strong>eine</strong>rnatürlichen Entwicklung (Entfernung nicht standortgemäßerBaumarten, Rückbau, Entfernen von Artefaktenetc.) sind mit dem Prozessschutz vereinbar; dauerhaftePflegemaßnahmen zur Erhaltung bestimmter Schutzgüter(Arten, Biotope) hingegen nicht. Der Prozessschutzschließt dauerhafte menschliche Eingriffe per definitionemaus. Da vom Menschen unberührte Wildnis in Mitteleuropanicht mehr existiert, kann der Prozessschutzhier häufig nur in der Entwicklung von Gebieten realisiertwerden, die teilweise sehr intensiv genutzt wurden(beispielsweise Truppenübungsplätze, Bergbaufolgelandschaften).Eine zentrale Forderung von Vertretern <strong>des</strong> Prozessschutzgedankensist, etwa 5 % der gesamten Lan<strong>des</strong>flächefrei von Nutzung zu halten <strong>und</strong> gänzlich der Eigendynamikder natürlichen Entwicklung zu überlassen (SRU,2000, Tz. 417; SUCCOW, 1997; SUCCOW et al., 2001;vgl. Abschnitt 6.5.4.1). Faktisch stößt der Prozessschutzauf Akzeptanzprobleme, die allerdings im Laufe der Zeitabnehmen könnten (vgl. Tz. 90, Kapitel 3.2).Vom Gesetzgeber ist der Prozessschutz funktional mit demArgument verteidigt worden, dass nur ein integrierter ÖkosystemschutzVoraussetzung für die Aufrechterhaltung wesentlicherökologischer Prozesse <strong>und</strong> lebenserhaltenderSysteme <strong>und</strong> damit für den Schutz der genetischen Diversitätsei (s. Erläuterung zum BNatSchGNeureg-Entwurf,B<strong>und</strong>estagsdrucksache 14/6378, S. 61). Es geht aus dieserBegründung nicht hervor, warum der relativ kleinräumigeProzessschutz (bisher ca. 0,1 % der Lan<strong>des</strong>fläche) für dieAufrechterhaltung ökologischer Prozesse auf höheren Skalenrelevant sein soll. Eine funktional-instrumentelle Begründung(Bedeutung für den Naturhaushalt) ist wenigüberzeugend. Eine direkte Verbindung zwischen Prozessschutz<strong>und</strong> dem Schutz genetischer Variabilität bestehtnicht.Unklar ist im Konzept <strong>des</strong> Prozessschutzes, ob natürlicheProzesse um ihrer selbst willen oder um anderer Ziele willen(Assimilation von Schadstoffen, Arten- <strong>und</strong> Biotopschutz,wissenschaftliche Beobachtung auf naturbelassenenReferenzflächen usw.) zu schützen sind. Der Schutznatürlicher Prozesse um ihrer selbst willen ist nur unterZuhilfenahme <strong>eine</strong>r holistischen Position begründbar.Weist man diese Position zurück, so kommt <strong>eine</strong>m natürlichenProzess per se kein Eigenwert zu.Der Prozessschutz lässt sich auch nicht mit dem Artenschutzbegründen; vielmehr stehen Prozess- <strong>und</strong> Artenschutzunter heutigen Bedingungen häufig in <strong>eine</strong>m Spannungs-oder Gegensatzverhältnis. Prozessschutz kann mitdem Verlust an Artenvielfalt verb<strong>und</strong>en sein. Dies musskein gravierender Zielkonflikt sein, solange die durch denProzessschutz gefährdeten Arten in hinreichend großenKulturbiotopen erhalten werden. Insofern müssen Prozessschutz<strong>und</strong> pflegender Artenschutz einander ergänzen.Gegen den Prozessschutz lässt sich auch einwenden, dasser in Mitteleuropa langfristig in vielen Fällen auf die Entstehungvon relativ artenarmen Buchenwäldern unterschiedlicherAltersklassen hinausläuft. Dies wäre für Anhänger<strong>des</strong> Prozessschutzes <strong>eine</strong> Konsequenz, die sieakzeptieren würden.Ein Argument zugunsten <strong>des</strong> Prozessschutzes besagt, derNatur sollte ein Teil <strong>des</strong>sen zurückgegeben werden, wasder Mensch ihr genommen habe. Die Vertreter dieses Argumentesstellen sich „die“ Natur wie ein Subjekt vor,dem man etwas auf unrechtmäßige Weise nehmen kann.Diese Vorstellung von Natur ist begrifflich <strong>und</strong> inhaltlichfragwürdig. Ebenfalls unhaltbar ist die Auffassung, wonachdurch den Prozessschutz die natürliche Evolution„zugelassen“ werde, denn evolutive Vorgänge (Mutation,Selektion, Adaption) finden auch in genutzten Flächenstatt. Auch die Argumentation, dass unbeeinflusste evolutionäreProzesse per se „besser“ oder „objektiv wertvoller“seien als solche, die sich in Kulturlandschaften ereignen,ist nicht stichhaltig, da sie auf <strong>eine</strong>r unhaltbarenGleichsetzung <strong>des</strong> Natürlichen mit dem Guten beruht(hierzu BIRNBACHER, 1997).Die überzeugendste Begründung <strong>des</strong> Prozessschutzesfindet sich, außer in dem Interesse an ökologischer Forschung(Referenzflächen-Argument), in dem Verweis aufbestehende Empfindungen <strong>eine</strong>r Sehnsucht nach Wildnis<strong>und</strong> <strong>eine</strong>r Übersättigung durch <strong>eine</strong> von Menschengeprägten Natur sowie mit den intensiven Emotionen, die<strong>eine</strong> Betrachtung ungelenkter Naturprozesse hervorrufe(HAUBL, 1999; HOISL et al., 1998, S. 210;SCHERZINGER, 1997). Menschen setzen sich der Wildnis

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