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Für eine Stärkung und Neuorientierung des Naturschutzes

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Deutscher B<strong>und</strong>estag – 14. Wahlperiode – 23 – Drucksache 14/9852In Deutschland findet sich zwar <strong>eine</strong> große Zahl voneuropaweit schützenswerten FFH-Arten <strong>und</strong> Biotopen(EEA, 1999, Fig. 3.11.6). Insgesamt ist Deutschland jedochein im weltweiten Vergleich relativ artenarmes Land,das kaum „echte“ Endemiten (nur an <strong>eine</strong>m Ort natürlichvorkommende Arten) aufweist <strong>und</strong> für viele Spezies amRande ihres natürlichen Verbreitungsgebietes liegt. DieseEinschätzung kann mit leichten Modifikationen auf ganzMitteleuropa ausgeweitet werden. Nach neueren Untersuchungensind von den r<strong>und</strong> 7 000 Farn- <strong>und</strong> BlütenpflanzenMitteleuropas nur 6 % in <strong>des</strong>sen Gesamtgebiet gefährdet(SCHNITTLER <strong>und</strong> GÜNTHER, 1999). Weiterhingibt es beispielsweise Pflanzenarten (wie den GoldblumigenSteinbrech), die zwar in ganz Mitteleuropa gefährdet,aber aufgr<strong>und</strong> ihres gesamten Verbreitungsgebietes weltweitals Art nicht bedroht sind. Das Gleiche gilt für vieleder vorwiegend in Deutschland gefährdeten Arten, die alsSpezies nicht bedroht sind. Das Kriterium der regionalenSeltenheit oder regionalen Gefährdung kann also nichtallein als Begründung für den prioritären Schutz herangezogenwerden. Dennoch ist die Erhaltung der globalnicht gefährdeten Arten in ihren natürlichen VerbreitungsgebietenMitteleuropas <strong>und</strong> sogar in den einzelnenRegionen, in denen sie vorkommen, von hoher Bedeutung.Der Erhalt lokaler Biodiversität ist Teil <strong>eine</strong>r Strategiezur Minimierung von Risiken hinsichtlich der Funktionstüchtigkeitökosystemarer Gefüge. Die Biodiversitätsoll auch in unserer Umgebung für die jetzt <strong>und</strong> zukünftigdort lebenden Menschen erhalten werden. Diese sollen<strong>eine</strong> regional-typische Artenvielfalt einschließlich vonArten mit hohem Symbolwert wie z. B. Biber, Storch,Adler oder Enzian vorfinden können. Damit können nationaloder regional seltene oder gefährdete Arten zwarGegenstand der Verantwortung für die Erhaltung <strong>des</strong>Naturerbes auf nationaler Ebene oder in einzelnen biogeographischenRegionen sein. Sie sind jedoch nicht Teilder nationalen Verantwortung für die globale Biodiversität.34. Mit Blick auf die weltweite <strong>und</strong> europäische Gefährdungssituationsollte in Zukunft auch die besonderenationale <strong>und</strong> regionale Verantwortung im Bereich <strong>des</strong>Arten- <strong>und</strong> Biotopschutzes festgelegt werden. Hierzu bietetdas Konzept der raumbedeutsamen Arten <strong>und</strong> Biotope<strong>eine</strong>n weiterführenden Ansatz (MÜLLER-MOTZFELDet al., 1997; SCHMIDT <strong>und</strong> BERG, 1997; SCHNITTLER<strong>und</strong> GÜNTHER, 1999; auch BENZLER, 2001; BERGet al., 2001). Die Angabe der Raumbedeutsamkeit von Artenlöst sich in diesem Konzept ein Stück weit von demBezug auf die „Roten Listen“ (s. dazu Tz. 372 ff.) sowie<strong>eine</strong>m auch methodisch fragwürdigen numerischenBewertungsformalismus (kritisch hierzu PLACHTER,1994). In der weiteren Konkretisierung dieses Ansatzeshaben BERG et al. (2001) in Bezug auf Pflanzengesellschaftendrei normative Kriterien der Einstufung, d. h. zurErmittlung von Wertstufen ausgewiesen: 1. Natürlichkeitsgrad,2. Gefährdungsinhalt, 3. Verantwortlichkeit. Die Integrationdieser drei Kriterien <strong>und</strong> ihre Übertragung in<strong>eine</strong> Matrix ermöglicht <strong>eine</strong> nachvollziehbare Wertstufenermittlung<strong>und</strong> damit <strong>eine</strong> Angabe über Grade derSchutzwürdigkeit. Als Regel gilt: Je höher der Grad anSchutzwürdigkeit, umso geringer ist der Handlungsspielraumin dem betreffenden Gebiet, da etwas anderes alsSchutz kaum mehr zu begründen ist.Eine besondere nationale Verantwortung speziell im Artenschutzliegt immer dann vor, wenn a) Deutschland <strong>eine</strong>ngroßen Anteil am Gesamthabitat <strong>eine</strong>r Art hat, b) eingroßer Anteil der Gesamtpopulation in Deutschland aufwächst,brütet oder rastet, c) die Art in Deutschland endemischist oder d) isolierte Vorposten <strong>eine</strong>r Art bestehen(s. BENZLER, 2001). Das Kriterium d) bezieht sich aufein neues Argumentationsmuster: Isolierte Randpopulationen(„Vorposten“) sind für den Fortbestand <strong>eine</strong>r Artnicht unbedingt erforderlich. Sie tragen jedoch zur standortspezifischenregionalen Biodiversität bei, die sowohlunter instrumentellen (Biomonitoring, biologischerPflanzenschutz) als auch unter eudaimonistischen Gesichtspunktenanzustreben ist. Die Begründung <strong>des</strong>Schutzes isolierter Teilpopulationen kann sich außerdemauf die Schutzwürdigkeit genetischer Variabilität <strong>und</strong> aufden Schutz evolutionärer Potenziale berufen; denn isolierteRandpopulationen können auf evolutionären Zeitskalenvergleichsweise schnell in Speziation (Artbildung)treten. Geht man von der genetischen Vielfalt aus,sind Populationen am Rande ihres Verbreitungsgebietes<strong>und</strong> isolierte Populationen („Inselphänomen“) daher vonbesonderem Interesse. Wenn man zu diesem Argumentationsmustergreift, muss man allerdings begründen,warum der Vorgang der Speziation wünschens- oderschützenswert ist. Auch muss man gegebenenfalls erläutern,warum natürliche Vorgänge (Sukzession, Speziationusw.), die vom Menschen (weitgehend) unbeeinflusst ablaufen,„besser“ sind als von Menschen beeinflusste Prozesse.Damit sind Fragen <strong>des</strong> Prozessschutzes angesprochen(Tz. 36).Die in Deutschland vorkommenden, europaweit oder globalgefährdeten Arten <strong>und</strong> Biotope müssen aufgr<strong>und</strong> derbesonderen deutschen Verantwortung mit höchster Prioritätgeschützt werden. Ein Fall, in dem diese Priorität anderenInteressen untergeordnet wurde, war der Konfliktum das so genannte Mühlenberger Loch, da dort ein Endemit(schierlingsblättriger Wasserfenchel – Oenantheconioi<strong>des</strong>) sowie ein seltener, weltweit stark gefährdeterBiotoptyp (das Süßwasserwatt) zur Disposition gestelltwurden (HAMPICKE, 2002). Hier zeigt sich, dass es imNaturschutz häufig abwägungsfester Schutzpositionenbedarf.Biotopschutz35. Die für den Artenschutz geltenden Argumente begründengleichzeitig <strong>eine</strong>n umfassenden Schutz der Lebensräumealler Arten <strong>und</strong> mit hoher Priorität den Schutzder Lebensräume von seltenen <strong>und</strong> gefährdeten Arten.Darüber hinaus sollten jedoch Biotope, die sich von denin intensiv genutzten Kulturlandschaften vorherrschendenBedingungen (ausgeglichener Wasserhaushalt, hohesNährstoffniveau, starke mechanische Beeinflussung etc.)abheben, auch dann geschützt werden, wenn auf ihnen

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