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Für eine Stärkung und Neuorientierung des Naturschutzes

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Drucksache 14/9852 – 20 – Deutscher B<strong>und</strong>estag – 14. WahlperiodeEinrichtung von Naturerlebnisgebieten sowie verstärkteAnstrengungen auf dem Gebiet der Umweltbildung nahe.23. Die in der Bevölkerung gegenwärtig vorhandenenPräferenzen für den Naturschutz lassen sich mithilfe vonZahlungsbereitschaftsanalysen ermitteln. Die anerkannteMethode der Zahlungsbereitschaftsanalyse („contingentvaluation“) geht davon aus, dass mit jeder positiven Bewertung<strong>eine</strong> Bereitschaft korrespondieren muss, etwasfür das bewertete Gut zu bezahlen, also auf etwas andereszu verzichten. Eine Zahlungsbereitschaft kann auch alsvorhandene Nachfrage nach Naturschutzleistungen verstandenwerden (umfassend HAMPICKE, 2000; Tz. 149).Mit diesem Bef<strong>und</strong> lässt sich auch <strong>eine</strong> Bereitstellung vonSteuermitteln für Naturschutzzwecke wie etwa für dieHonorierung ökologischer Leistungen rechtfertigen (Kapitel5.1.2), da die vorhandene Zahlungsbereitschaft fürden Naturschutz aus verschiedenen Gründen, die in derEigenart kollektiver Güter liegen, nicht oder nur schwerdirekt „abgeschöpft“ werden kann (Tz. 199).Die Verbreitung <strong>eine</strong>r besonderen Wertschätzung der Naturwird auch durch die Zahl der in Naturschutzverbändenorganisierten Personen verdeutlicht. Die Mitgliederzahlender anerkannten Naturschutzverbände (3 762 778 Personenim Jahre 2001 ohne Berücksichtigung von Doppelmitgliedschaften;persönliche Mitteilung <strong>des</strong> BfN vom30.04.2002) übersteigen derzeit z. B. die der politischenParteien deutlich (vgl. BfN, 1999, S. 191).24. Es erscheint angesichts der Zahlungsbereitschaft<strong>und</strong> der Mitgliederzahlen der Naturschutzverbände verfehlt,den Personenkreis, der ein besonderes Interesse amNaturschutz hat, als <strong>eine</strong> unbedeutende Minderheit zu betrachten,deren Interessen bei Zielfestlegungen nicht sonderlichins Gewicht zu fallen haben. Dieser Personenkreiskann sich häufig nicht in gleichem Maße in politischenEntscheidungsprozessen durchsetzen, da er insgesamtüber weniger Einfluss- <strong>und</strong> Konfliktpotenzial verfügt alsdie Vertreter von Nutzerinteressen. Es gehört <strong>des</strong>halb zuden Gr<strong>und</strong>sätzen <strong>eine</strong>r gemeinwohlorientierten Politik,die Interessen solcher Bevölkerungskreise angemessen zuberücksichtigen.2.1.2.3 Moralische Eigenwerte25. Während die bisher vorgebrachten Argumente anthropozentrischerNatur waren, beruht die Zuerkennungvon moralischen Eigenwerten für einige oder alle Naturwesenauf physiozentrischen Auffassungen. Eigenwertbedeutet Selbstzweckhaftigkeit <strong>und</strong> impliziert, dass mandem Wesen, dem man Eigenwert zuerkennt, „um s<strong>eine</strong>rselbst willen“ moralischen Respekt schuldig ist, d. h. unabhängigvon sämtlichen menschlichen Vorlieben <strong>und</strong>Ansprüchen an die Natur. Der Physiozentrismus lässt sichnicht widerlegen, indem geltend gemacht wird, dass nurMenschen moralisch verantwortliche Wesen sind. Ausdem methodischen (formalen) Anthropozentrismus allerEthik folgt kein inhaltlicher. Vielmehr ist jede physiozentrischePosition mit dem methodischen Anthropozentrismuslogisch vereinbar.26. Formen <strong>des</strong> Physiozentrismus sind Sentientismus,Biozentrismus, Ökozentrismus <strong>und</strong> Holismus. Jede dieserPositionen vertritt ein anderes Kriterium moralischerBerücksichtigungswürdigkeit. Der Sentientismus erkenntallen empfindungsfähigen, der Biozentrismus allen belebten<strong>und</strong> der Holismus allen existierenden NaturwesenEigenwert zu. Der Ökozentrismus betont den Eigenwertintakter („ges<strong>und</strong>er“, „stabiler“, „integrer“) ökosystemarerZusammenhänge. Die hinter all diesen Positionen stehendeBegründungsproblematik betrifft die Frage nachdem plausibelsten Kriterium. Je<strong>des</strong> Kriterium enthältAuffassungen über moralisch relevante Eigenschaftenvon Naturwesen (Empfindungsfähigkeit, Belebtheit,Existenz).27. Plausible Vorschläge für moralisch relevante Eigenschaftensind Bewusstsein, Empfindungsfähigkeit oderdas Vorliegen von Interessen. Ein Naturwesen ist gemäßdem Kriterium der Empfindungsfähigkeit moralisch genaudann zu berücksichtigen, wenn es Zustände vonFreude <strong>und</strong> Leid bewusst erleben kann. Eine Mehrheit derUmwelt- <strong>und</strong> Tierethiker vertritt diese sentientistische(auch: „pathozentrische“) Auffassung (z. B. REGAN,1983; SINGER, 1996; VARNER, 1998b; WOLF, 1990).Der Sentientismus kann entweder egalitaristisch oder gradualistischverstanden werden. Einer gradualistischenPosition zufolge dürfen Abstufungen gemäß der Organisationshöhe<strong>eine</strong>s empfindungsfähigen Lebewesensgemacht werden; die egalitaristische Position fordert hingegen<strong>eine</strong> gleiche Berücksichtigung aller dieser Lebewesen.Die moralischen Konsequenzen <strong>eine</strong>r egalitaristischenPosition in Bezug auf die Tötung von Nutztieren,auf Tierversuche, auf die Praxis der Jagd usw. sind sehrrestriktiv. Aus <strong>eine</strong>r gradualistischen Sicht ist es hingegenzulässig, Tiere zu töten, sofern dies <strong>eine</strong> notwendige Bedingungdafür ist, andere Naturschutzziele zu verfolgen(Bekämpfung von Neophyten, Regulierung <strong>des</strong> Wildbestan<strong>des</strong>,Erhalt seltener Pflanzenarten etc.). Diegradualistische Position hat den Vorzug, dass sie <strong>eine</strong>nSentimentalismus gegenüber einzelnen Wildtieren <strong>und</strong>gegenüber Kulturfolgern (beispielsweise Ratten <strong>und</strong> Tauben)vermeiden kann. Auch ein gradualistischer Sentientismusgestattet es jedoch nicht, im Naturschutz von<strong>eine</strong>m absoluten Vorrang menschlicher gegenüber tierischerInteressen auszugehen. Die Interessen empfindungsfähigerLebewesen einschließlich <strong>des</strong> zu unterstellendenInteresses an <strong>eine</strong>m adäquaten Lebensraummüssen ernsthaft in Abwägungen einbezogen werden. DieSicherung <strong>des</strong> Reproduktionserfolges <strong>eine</strong>r Populationkann daher unter Umständen höher gewichtet werden alsein menschliches Vergnügen an der Ausübung <strong>eine</strong>rSportart oder als die Ziele <strong>des</strong> Straßenbaus oder derGewerbeansiedlung. Eine Konsequenz <strong>des</strong> sentientistischenKriteriums besteht darin, dass man in moralischerPerspektive niedere Tiere, Pflanzen, Pilze, Mikroorganismenusw. sowie die höheren biotischen Einheiten (Arten,Ökosysteme, Landschaften) moralisch nur indirekt zuberücksichtigen hat. Dies schließt natürlich nicht aus,dass andere Gründe für deren Schutz sprechen.28. Die weitergehenden physiozentrischen Positionen(Biozentrismus, Ökozentrismus, Holismus) kommenzwar z. T. als Individualethik, aus mehreren Gründen jedochnicht als Gr<strong>und</strong>lage <strong>eine</strong>r allgemein verbindlichen

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