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Rechtsfragen in der Beratung - Bundeskonferenz für ...

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Gerichtsurteile Schweigepflicht <strong>in</strong> <strong>der</strong> Supervision<br />

wird – soweit ersichtlich – dieselbe Auffassung vertreten (OLG<br />

Stuttgart NJW 1987, 1490 f.; OVG Lüneburg NJW 1975, 2263 f.; VG<br />

Münster MedR 1984, 118 f.). Dies gilt auch <strong>für</strong> die Rechtssprechung<br />

des Bundesgerichtshof (BGH). Soweit die Verteidigung me<strong>in</strong>t, <strong>der</strong><br />

BGH sehe die Weitergabe e<strong>in</strong>es Geheimnisses an e<strong>in</strong>en schweigepflichtigen<br />

Empfänger als nicht tatbestandsmäßig an, dürfte dies<br />

auf e<strong>in</strong>em Mißverständnis des als Beleg angeführten Urteils (BGHSt<br />

4, 355 f.) beruhen. In dieser Entscheidung hat <strong>der</strong> BGH se<strong>in</strong>en<br />

schuldausschließenden Tatbestandsirrtum i.S. v. § 59 StGB a.F.<br />

angenommen, weil <strong>der</strong> Täter an die Voraussetzungen e<strong>in</strong>er ihn<br />

rechtfertigenden Situation glaubte. In späteren Entscheidungen<br />

wird deutlich, daß <strong>der</strong> BGH die Weitergabe e<strong>in</strong>es Geheimnisses an<br />

e<strong>in</strong>en Schweigepflichtigen als tatbestandsmäßig i.S. v. § 203 StGB<br />

ansieht; denn an<strong>der</strong>nfalls hätte er – z.B. bei <strong>der</strong> Bewertung von<br />

Praxisübernahmen (vgl. BGH NJW 1974, 602) – nicht auf das<br />

Rechts<strong>in</strong>stitut <strong>der</strong> mutmaßlichen E<strong>in</strong>willigung zurückgreifen müssen.<br />

In jüngster Zeit hat <strong>der</strong> BGH ausdrücklich hervorgehoben, daß<br />

es <strong>für</strong> die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 203 Abs. 1 StGB<br />

unerheblich ist, daß die Weitergabe an e<strong>in</strong>e Person erfolgt, die<br />

gleichfalls <strong>der</strong> ärztlichen Schweigepflicht unterliegt (BGHZ 116, 269/<br />

272).<br />

2. Dem Urteil kann nicht entnommen werden, unter welchem<br />

rechtlichen Gesichtspunkt das Landgericht die Offenbarung als<br />

„nicht befugt“ angesehen hat. Anhaltspunkte da<strong>für</strong>, daß die Zeug<strong>in</strong><br />

C. konkludent ihr E<strong>in</strong>verständnis mit <strong>der</strong> Weitergabe des dem<br />

Angeklagten Anvertrauten an die Mitglie<strong>der</strong> <strong>der</strong> Supervision erteilt<br />

hätte (vgl. VG Münster a.a.O. S. 119; Schönke/Schrö<strong>der</strong>/Lenckner<br />

§ 203 Rdnr. 24), f<strong>in</strong>den sich im Urteil nicht. Die Zeug<strong>in</strong> hat sich vor<br />

ihrer Offenbarung gegenüber dem Angeklagten dessen Schweigepflicht<br />

versichert; es drängt sich daher auf, daß sie damit jedwede<br />

Weitergabe untersagen wollte. Unerheblich ist <strong>in</strong> diesem Zusammenhang,<br />

daß <strong>der</strong> Angeklagte – wie das Landgericht festgestellt hat<br />

– ihr nicht zugesichert hat, <strong>in</strong> jedem Fall zur Verschwiegenheit<br />

verpflichtet zu se<strong>in</strong>.<br />

Entscheidend ist, was er ihr gesagt hat; dazu enthält das Urteil<br />

ke<strong>in</strong>e Feststellungen. Die Ausführungen <strong>in</strong> den Urteilsgründen<br />

lassen nur vermuten, daß das Landgericht § 34 StGB (rechtfertigen<strong>der</strong><br />

Notstand) im Auge hatte. Unter diesem Gesichtspunkt s<strong>in</strong>d die<br />

getroffenen Feststellungen jedoch lückenhaft und die Erwägungen<br />

230<br />

des Landgerichts unzureichend.<br />

Die <strong>für</strong> die Anwendung des § 34 StGB vorauszusetzende Notstandslage<br />

hat das Landgericht offenbar <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Gefahr <strong>für</strong> die<br />

Psyche, möglicherweise auch <strong>für</strong> das Leben <strong>der</strong> Zeug<strong>in</strong> C. (Suizidgefahr)<br />

gesehen. Daß e<strong>in</strong>e gegenwärtige Gefahr <strong>in</strong> dieser H<strong>in</strong>sicht<br />

tatsächlich bestand, hat es jedoch nicht festgestellt.<br />

Gefahr ist e<strong>in</strong> Zustand, <strong>in</strong> dem nach den konkreten Umständen<br />

<strong>der</strong> E<strong>in</strong>tritt e<strong>in</strong>es Schadens nahe liegt (Lackner § 34 Rdnr. 2; LK/<br />

Hirsch StGB 11. Auflage – 13. Lfg. – § 34 Rdnr. 26). E<strong>in</strong>e Gefahr ist<br />

gegenwärtig, wenn bei natürlicher Weiterentwicklung <strong>der</strong> D<strong>in</strong>ge <strong>der</strong><br />

E<strong>in</strong>tritt e<strong>in</strong>es Schadens sicher o<strong>der</strong> doch höchstwahrsche<strong>in</strong>lich ist,<br />

falls nicht alsbald Abwehrmaßnahmen ergriffen werden, o<strong>der</strong> wenn<br />

<strong>der</strong> ungewöhnliche Zustand nach menschlicher Erfahrung und<br />

natürlicher Weiterentwicklung <strong>der</strong> gegebenen Sachlage je<strong>der</strong>zeit <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>en Schaden umschlagen kann (BGH NJW 1989, 176). E<strong>in</strong>e<br />

gegenwärtige Gefahr <strong>in</strong> diesem S<strong>in</strong>ne hat das Landgericht nicht<br />

festgestellt. Soweit es ausführt „Das Ereignis, daß <strong>der</strong> Heimleiter<br />

sexuelle Kontakte zu <strong>der</strong> Zeug<strong>in</strong> C. aufgenommen hatte, konnte die<br />

vom Angeklagten be<strong>für</strong>chteten psychischen Folgen haben“, spricht<br />

es damit nur die Möglichkeit, nicht aber die Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit o<strong>der</strong><br />

gar die Gewißheit e<strong>in</strong>es Gesundheitsschadens an.<br />

Zudem bleibt offen, auf welcher tatsächlichen Grundlage die<br />

Annahme des Landgerichts beruht, das fragliche Ereignis könne die<br />

vom Angeklagten be<strong>für</strong>chteten „psychischen Folgen“ haben. Das<br />

Landgericht teilt alle<strong>in</strong> die E<strong>in</strong>schätzung des Angeklagten selbst<br />

mit, nach <strong>der</strong> die Ursache <strong>der</strong> psychischen Störungen <strong>der</strong> Zeug<strong>in</strong><br />

(möglicherweise) <strong>in</strong> „sexuellen Mißbrauchserfahrungen“ liege und<br />

die sexuelle Beziehung <strong>der</strong> Zeug<strong>in</strong> zum Heimleiter „im S<strong>in</strong>ne <strong>der</strong><br />

Psychologie“ e<strong>in</strong>en sexuellen Mißbrauch darstellen könne. E<strong>in</strong>e<br />

Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung damit, ob diese E<strong>in</strong>schätzung zutrifft, fehlt.<br />

Maßstab <strong>für</strong> die Beurteilung <strong>der</strong> Frage, ob im Zeitpunkt des<br />

Handelns des Angeklagten e<strong>in</strong>e gegenwärtige Gefahr im S<strong>in</strong>ne von<br />

§ 34 StGB vorlag, ist die objektive nachträgliche Prognose e<strong>in</strong>es<br />

sachkundigen Beobachters (LK/Hirsch § 34 Rdnr. 29; Lackner § 34<br />

Rdnr. 2). Daß das Landgericht über die erfor<strong>der</strong>liche Sachkunde<br />

verfügte, läßt sich dem Urteil nicht entnehmen.<br />

Das angefochtene Urteil läßt ferner e<strong>in</strong>e Ause<strong>in</strong>an<strong>der</strong>setzung mit<br />

<strong>der</strong> Frage vermissen, ob die – angenommene – Gefahr durch e<strong>in</strong><br />

an<strong>der</strong>es, mil<strong>der</strong>es Mittel als die Offenbarung des Geheimnisses<br />

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