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Rechtsfragen in der Beratung - Bundeskonferenz für ...

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Allgeme<strong>in</strong>e Grundlagen <strong>Rechtsfragen</strong> bei K<strong>in</strong>desmißhandlung und sexuellem Mißbrauch<br />

(4)Im Rahmen e<strong>in</strong>er k<strong>in</strong><strong>der</strong>therapeutischen Behandlung wird <strong>der</strong><br />

sexuelle Mißbrauch e<strong>in</strong>es Mädchens durch den Vater offenbar.<br />

In <strong>der</strong> begleitenden Elternarbeit leugnet <strong>der</strong> Vater die Tat. Nach<br />

den Berichten des Mädchens setzt <strong>der</strong> Vater den Mißbrauch fort.<br />

(5)Der sexuelle Mißbrauch <strong>der</strong> Tochter durch ihren Vater wird im<br />

Rahmen e<strong>in</strong>er Familientherapie bekannt. Die Mutter reagiert u.a.<br />

damit, daß sie die Scheidung e<strong>in</strong>reicht. Im Verlauf des Scheidungsverfahrens<br />

soll <strong>der</strong> Mitarbeiter <strong>der</strong> Erziehungsberatungsstelle<br />

als Zeuge aussagen.<br />

(6)Die im <strong>Beratung</strong>sprozeß bekanntgewordene Straftat wird von <strong>der</strong><br />

Mutter angezeigt. Die ermittelnde Staatsanwaltschaft will die<br />

Mitarbeiter<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Beratung</strong>sstelle vernehmen und im Prozeß als<br />

Zeug<strong>in</strong> vorladen lassen. Die Videoaufzeichnungen <strong>der</strong> <strong>Beratung</strong>ssitzung,<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>der</strong> Vater die Tat zugibt, soll beschlagnahmt werden.<br />

(7)Die Erzieher<strong>in</strong> e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong><strong>der</strong>gartens ruft <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Beratung</strong>sstelle an,<br />

weil e<strong>in</strong> Junge durch se<strong>in</strong>e Verhaltensweisen auffällt; sie hat den<br />

Verdacht, daß das K<strong>in</strong>d sexuell mißbraucht worden ist.<br />

Zu beachtende Grundsätze<br />

Für alle Problemkonstellationen gilt, daß die Tatsache <strong>der</strong> K<strong>in</strong>desmißhandlung<br />

o<strong>der</strong> des sexuellen Mißbrauchs <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er <strong>Beratung</strong>ssituation<br />

bekannt geworden ist, d.h. sie ist unter <strong>der</strong> Voraussetzung<br />

anvertraut worden, daß Berater und Berater<strong>in</strong> das Privatgeheimnis<br />

<strong>der</strong> Klienten wahren. An<strong>der</strong>enfalls wäre ihre Hilfe womöglich<br />

überhaupt nicht <strong>in</strong> Anspruch genommen worden. Daraus folgt, daß<br />

auch die Kenntnis von e<strong>in</strong>er Mißhandlung o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>em Mißbrauch<br />

zu den zu wahrenden Privatgeheimnissen gemäß § 203 Abs. 1 Nr.<br />

4 StGB zählt.<br />

Der Schutz <strong>der</strong> Vertrauensbeziehung zwischen Berater und<br />

Klient ist nach <strong>der</strong> Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts<br />

e<strong>in</strong> hochrangiges Rechtsgut, das gegebenenfalls auch über das<br />

Interesse des Staates an <strong>der</strong> Strafverfolgung zu setzen ist (vgl.<br />

Schutz des Privatgeheimnisses <strong>in</strong> <strong>der</strong> <strong>Beratung</strong> vs. Beschlagnahme<br />

von Klientenakten, <strong>in</strong> diesem Band, S. 208ff.). Im jeweiligen<br />

E<strong>in</strong>zelfall ist abzuwägen, welchem Rechtsgut <strong>der</strong> Vorrang gebührt.<br />

Neben dem Interesse an <strong>der</strong> Strafverfolgung ist im Zusammenhang<br />

von K<strong>in</strong>desmißhandlung und sexuellem Mißbrauch vor allem<br />

<strong>der</strong> Schutz des betroffenen K<strong>in</strong>des als konkurrierendes Rechtsgut<br />

40<br />

zu sehen. K<strong>in</strong>desmißhandlung kann im E<strong>in</strong>zelfall die Herausnahme<br />

des K<strong>in</strong>des aus <strong>der</strong> Familie erfor<strong>der</strong>n; sexueller Mißbrauch macht<br />

die räumliche Trennung des Täters vom betroffenen Mädchen<br />

erfor<strong>der</strong>lich. Wenn und solange <strong>der</strong> Schutz des K<strong>in</strong>des im Rahmen<br />

<strong>der</strong> gebotenen Hilfe gegeben ist, ergibt sich <strong>für</strong> Berater und<br />

Berater<strong>in</strong> ke<strong>in</strong>e Befugnis zur Offenbarung von Privatgeheimnissen.<br />

Wenn <strong>der</strong> Schutz des K<strong>in</strong>des jedoch trotz <strong>der</strong> Hilfe nicht sichergestellt<br />

ist, ergibt sich rechtlich die Befugnis – und zugleich fachlich<br />

die Verpflichtung – zur Offenbarung.<br />

Der e<strong>in</strong>zelne Berater ist zur Wahrung des Privatgeheimnisses<br />

se<strong>in</strong>er Klienten verpflichtet; er ist <strong>der</strong> Adressat <strong>der</strong> Strafrechtsnorm<br />

§ 203 Abs. 1 Nr. 4 StGB. Deshalb ist die Entscheidung, ob er das<br />

Privatgeheimnis e<strong>in</strong>es Klienten bricht und e<strong>in</strong>e Straftat Dritten<br />

offenbart, alle<strong>in</strong> von ihm selbst zu treffen. Solange diese Entscheidung<br />

mit vertretbaren Gründen getroffen wird, darf sie ihm we<strong>der</strong><br />

diszipl<strong>in</strong>arrechtlich o<strong>der</strong> arbeitsrechtlich noch strafrechtlich entgegengehalten<br />

werden.<br />

Stellen<strong>in</strong>terne Weisungen o<strong>der</strong> Weisungen des Trägers <strong>der</strong><br />

Erziehungsberatungsstelle, <strong>in</strong> jedem Fall von K<strong>in</strong>desmißhandlung<br />

und sexuellem Mißbrauch Anzeige zu erstatten bzw. ke<strong>in</strong>esfalls<br />

an<strong>der</strong>e Institutionen e<strong>in</strong>zuschalten, s<strong>in</strong>d unzulässig. Der Arbeitgeber<br />

ist vielmehr gehalten, die Arbeitsbed<strong>in</strong>gungen <strong>der</strong> Berater so<br />

zu gestalten, daß diese nicht gegen geltendes Recht verstoßen<br />

müssen (vgl. Aufsicht über Erziehungsberatungsstellen, <strong>in</strong> diesem<br />

Band, S. 73ff.).<br />

Lösungen<br />

Der e<strong>in</strong>zelne Berater muß daher bezogen auf die jeweilige konkrete<br />

Fallsituation entscheiden, ob er befugt ist, die Straftat zu offenbaren.<br />

Die e<strong>in</strong>zige rechtliche Grundlage da<strong>für</strong> bieten die gesetzlichen<br />

Offenbarungsbefugnisse:<br />

• die Pflicht zur Anzeige drohen<strong>der</strong>, aber noch abwendbarer<br />

Straftaten im S<strong>in</strong>ne von § 138 StGB und<br />

• <strong>der</strong> rechtfertigende Notstand im S<strong>in</strong>ne des § 34 StGB bei<br />

Gefährdung des K<strong>in</strong>deswohls (§ 1666 BGB).<br />

Da Erziehungsberatung <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er akuten Problemlage als e<strong>in</strong>e<br />

fachliche Hilfe <strong>in</strong> Anspruch genommen worden ist, muß erstes<br />

Kriterium <strong>der</strong> Beurteilung se<strong>in</strong>, ob <strong>der</strong> jeweilige Berater sich <strong>in</strong> <strong>der</strong><br />

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