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Rechtsfragen in der Beratung - Bundeskonferenz für ...

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Beachtlichkeit des K<strong>in</strong>deswillens<br />

Urteil des Oberlandesgerichtes Celle<br />

vom 20. Oktober 1994 *<br />

Die K<strong>in</strong><strong>der</strong> haben ihre Rückgabe bei ihrer Anhörung vor dem Senat<br />

erneut, was die Antragsteller<strong>in</strong> wohl auch nicht <strong>in</strong> Abrede nimmt,<br />

ausdrücklich und entschieden abgelehnt. Der Senat ist aufgrund<br />

<strong>der</strong> Anhörung <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> auch davon überzeugt, daß sie e<strong>in</strong> Alter<br />

und e<strong>in</strong>e Reife erreicht haben, angesichts <strong>der</strong>er es angebracht<br />

ersche<strong>in</strong>t, ihre Me<strong>in</strong>ung zu berücksichtigen (Art. 13 II HKiEntÜ).<br />

Soweit im angefochtenen Beschluß ausgeführt wird, die K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

seien erst sieben und neun Jahre alt, so daß von e<strong>in</strong>em beachtlichen<br />

K<strong>in</strong>deswillen hier nicht die Rede se<strong>in</strong> könne, kann dem nicht gefolgt<br />

werden. Zunächst steht auch dieser Satz im Zusammenhang mit<br />

den Ausführungen, die sich gegen das vom Amtsgericht, e<strong>in</strong>geholte<br />

Gutachten wenden, so daß unklar ersche<strong>in</strong>t, ob das Familiengericht<br />

überhaupt den K<strong>in</strong>deswillen selbst und se<strong>in</strong>e Beachtlichkeit geprüft<br />

hat o<strong>der</strong> nur se<strong>in</strong>e zutreffende Prüfung und Schil<strong>der</strong>ung durch den<br />

Privatgutachter. Im übrigen wird aber, sollte doch ersteres <strong>der</strong> Fall<br />

se<strong>in</strong>, nicht deutlich, ob das Familiengericht den Willen sieben und<br />

neun Jahre alter K<strong>in</strong><strong>der</strong> generell die Beachtlichkeit absprechen will,<br />

o<strong>der</strong> ob es konkret das Alter und die Reife <strong>der</strong> hier betroffenen<br />

K<strong>in</strong><strong>der</strong> nicht <strong>für</strong> ausreichend erachtet, ihren Wunsch zu berücksichtigen<br />

– wo<strong>für</strong> es <strong>in</strong> beiden Fällen allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong>er Begründung<br />

ermangelt. Denn e<strong>in</strong>e feste Altersgrenze, vor <strong>der</strong>en Erreichen die<br />

Berücksichtigung des K<strong>in</strong>deswillens ausgeschlossen ist, existiert<br />

nicht, wovon ersichtlich auch sonst <strong>in</strong> <strong>der</strong> Rechtssprechung ausgegangen<br />

wird. (…)<br />

Das folgt zunächst schon daraus, daß e<strong>in</strong>e solche Altersgrenze<br />

im Haager Übere<strong>in</strong>kommen nicht genannt ist. Die muß auch bewußt<br />

unterblieben se<strong>in</strong>, da an an<strong>der</strong>er Stelle – <strong>in</strong> Art. 4 HKiEntÜ – von<br />

<strong>der</strong> Möglichkeit, e<strong>in</strong>e Altersgrenze zu ziehen, Gebrauch gemacht<br />

worden ist.<br />

Zum an<strong>der</strong>en wird auch durch die zusätzliche For<strong>der</strong>ung nach<br />

e<strong>in</strong>er ausreichenden „Reife“ wegen des bekanntermaßen unterschiedlich<br />

verlaufenden menschlichen Reifeprozesses das Merkmal<br />

„Alter“ relativiert und <strong>in</strong>dividualisiert. Schließlich versteht sich von<br />

selbst, daß bei <strong>der</strong> Prüfung, ob <strong>der</strong> von e<strong>in</strong>em K<strong>in</strong>d geäußerte Wille<br />

276<br />

als ernsthaft anzusehen ist, und <strong>der</strong> Entscheidung, ihn zu berücksichtigen,<br />

unabd<strong>in</strong>gbar auf den Gegenstand des Willens abzustellen<br />

ist. Während etwa e<strong>in</strong> neunjähriges K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> aller Regel nach<br />

Abschluß <strong>der</strong> Grundschule nicht über die erfor<strong>der</strong>liche Reife<br />

verfügen wird, <strong>für</strong> se<strong>in</strong>e künftige Ausbildung die Wahl zwischen<br />

e<strong>in</strong>er allgeme<strong>in</strong>bildenden o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>er weiterführenden Schule zu<br />

treffen, wird an<strong>der</strong>erseits e<strong>in</strong> siebenjähriges K<strong>in</strong>d <strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel, vor<br />

die Wahl gestellt, entwe<strong>der</strong> <strong>in</strong> den Judo- o<strong>der</strong> <strong>in</strong> den Fußballvere<strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>zutreten, sich zu entscheiden wissen.<br />

Vorliegend ist zu beachten, daß das Haager Übere<strong>in</strong>kommen <strong>in</strong><br />

erster L<strong>in</strong>ie dem Zweck dient, möglichst schnell den status quo ante<br />

wie<strong>der</strong>herzustellen (vgl. Siehr, a.a.O., E<strong>in</strong>l. Rz. 2), quasi e<strong>in</strong>e<br />

Besitzkehr durchzusetzen, wie sie <strong>für</strong> das Sachenrecht <strong>in</strong> § 859 BGB<br />

normiert ist. Deshalb ist nicht auf das K<strong>in</strong>deswohl schlechth<strong>in</strong><br />

abzustellen; darüber ist vielmehr im Rahmen e<strong>in</strong>es Sorgerechtsverfahrens<br />

<strong>in</strong> <strong>der</strong> Regel endgültig am Ort des gewöhnlichen Aufenthaltes<br />

des K<strong>in</strong>des zu entscheiden (vgl. Siehr, a.a.O.). Dementsprechend<br />

ist <strong>in</strong> Art. 16 HKiEntÜ das Verbot e<strong>in</strong>er Sachentscheidung<br />

über das Sorgerecht im Zufluchtsstaat vor <strong>der</strong> Entscheidung über<br />

e<strong>in</strong>en Antrag gemäß Art. 8 HKiEntÜ statuiert. Nach Art. 17 HKiEntÜ<br />

steht – vorbehaltlich des Art. 13 – nicht e<strong>in</strong>mal e<strong>in</strong>e im Zufluchtsstaat<br />

schon ergangene Sorgerechtsentscheidung <strong>der</strong> Rückführung<br />

<strong>in</strong> den Fluchtstaat entgegen, wenn die Voraussetzungen des Art. 3<br />

HKiEntÜ vorliegen. Schließlich ist auch anerkannt, daß es dem Ziel<br />

des Übere<strong>in</strong>kommens wi<strong>der</strong>spricht, langwierige Ermittlungen anzustellen<br />

(vgl. Siehr, a.a.O., Art. 13 Rz. 55).<br />

Daraus folgt: Für die vorliegend nach Art. 13 II HKiEntÜ zu<br />

treffende Entscheidung ist nur auf das Alter und die Reife <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong><br />

A. und C. abzustellen. Der Grad ihrer Reife ist nicht abstrakt zu<br />

bestimmen, auch nicht im Maßstab des K<strong>in</strong>deswohls im H<strong>in</strong>blick<br />

auf e<strong>in</strong>e noch zu treffende Sorgerechtsregelung, son<strong>der</strong>n nur im<br />

konkreten Bezug auf die hier anstehende Entscheidung <strong>der</strong> Rückgabe.<br />

(S. 955 f.)<br />

Anmerkungen<br />

* Zitiert nach: Zeitschrift <strong>für</strong> das gesamte Familienrecht, Heft 15/1995, S. 955 – 956.<br />

Anmerkung <strong>der</strong> Redaktion: Das Urteil ist hier wegen <strong>der</strong> allgeme<strong>in</strong> gültigen<br />

Aussagen zum K<strong>in</strong>deswillen dokumentiert.<br />

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