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Rechtsfragen in der Beratung - Bundeskonferenz für ...

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Gerichtsurteile Beschlagnahme von Sozialdaten<br />

Urteil des Landgerichts Berl<strong>in</strong><br />

vom 19. Februar 1992 *<br />

Sachverhalt:<br />

Das Jugendamt R. führt über die 15 Jahre alte Geschädigte H.B. und<br />

ihre Eltern die Sozialakte, die nach Angaben des Jugendamts unter<br />

an<strong>der</strong>em Aufzeichnungen über <strong>Beratung</strong>sgespräche <strong>der</strong> zuständigen<br />

Sozialarbeiter<strong>in</strong> enthält. Die Beschuldigten s<strong>in</strong>d <strong>der</strong> Vater <strong>der</strong><br />

Geschädigten H. B. und ihr Bru<strong>der</strong> H. B.<br />

Aufgrund e<strong>in</strong>es Durchsuchungsbeschlusses des Amtsgerichts T.<br />

vom 9. Oktober 1991 hat die Polizei die Sozialakte beschlagnahmt.<br />

Das Jugendamt hatte sie unter ausdrücklichem Wi<strong>der</strong>spruch herausgegeben.<br />

Mit dem angefochtenen Beschluß hat das Amtsgericht<br />

T. die Beschlagnahme <strong>der</strong> Akte gemäß § 98 Abs. 2 StPO richterlich<br />

bestätigt.<br />

Aus den Gründen:<br />

Die dagegen vom Jugendamt erhobene Beschwerde ist zulässig<br />

(§ 304 Abs. 1, 2 StPO) und begründet.<br />

Ob die Beschlagnahme von Behördenakten überhaupt zulässig<br />

ist (so Kammergericht – 4 Ws 110/89 – vom 22. Juni 1989) o<strong>der</strong> nicht,<br />

kann hier dah<strong>in</strong>stehen. Im vorliegenden Fall steht ihr jedenfalls das<br />

Sozialgeheimnis entgegen.<br />

Gemäß § 35 Abs. 1 SGB I hat je<strong>der</strong> Anspruch darauf, daß<br />

E<strong>in</strong>zelangaben über se<strong>in</strong>e persönlichen und sachlichen Verhältnisse<br />

(personenbezogene Daten) von den Leistungsträgern als Sozialgeheimnis<br />

gewahrt und nicht unbefugt offenbart werden. Leistungsträger<br />

bei <strong>der</strong> Gewährung von Sozialleistungen e<strong>in</strong>schließlich<br />

Jugendhilfe mit persönlicher und erzieherischer Hilfe nach §§ 8,<br />

11 SGB I, §§ 1 Abs. 3, 2 SGB VIII s<strong>in</strong>d unter an<strong>der</strong>em die<br />

Jugendämter, § 12 SGB I, § 69 Abs. 1, Abs. 3 SGB VIII. Soweit sie<br />

personenbezogene Daten nicht offenbaren dürfen, besteht gemäß<br />

§ 35 Abs. 3 SGB I ke<strong>in</strong>e Auskunfts- o<strong>der</strong> Zeugnispflicht und ke<strong>in</strong>e<br />

Pflicht zur Vorlage o<strong>der</strong> Auslieferung von Schriftstücken, Akten,<br />

Dateien und sonstigen Datenträgern. Daraus folgt <strong>für</strong> diese Fälle<br />

auch e<strong>in</strong> Beschlagnahmeverbot von Akten (Kle<strong>in</strong>knecht/Meyer,<br />

StPO, 40. Aufl., Rdn. 6 zu § 161 StPO, Hauck/Ha<strong>in</strong>es, SGB X 1, 2, Rd.<br />

46 zu § 35 SGB I).<br />

E<strong>in</strong>e Offenbarung personenbezogener Daten ist gemäß § 35<br />

282<br />

Abs. 2 SGB I nur unter den Voraussetzungen <strong>der</strong> §§ 67 bis 77 SGB<br />

X zulässig. E<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>willigung <strong>der</strong> Betroffenen zur Offenbarung nach<br />

§ 67 Nr. 1 SGB X liegt nicht vor. Darüber h<strong>in</strong>aus kommen im<br />

vorliegenden Fall nur die §§ 73 und 69 Abs. 1 Nr. 1 SGB X <strong>in</strong><br />

Betracht. Deren Voraussetzungen s<strong>in</strong>d ebenfalls nicht gegeben.<br />

Gemäß § 73 Nr. 1 SGB X ist e<strong>in</strong>e Offenbarung auf richterliche<br />

Anordnung zulässig, soweit sie zur Aufklärung e<strong>in</strong>es Verbrechens<br />

erfor<strong>der</strong>lich ist. Gegenstand des Ermittlungsverfahrens ist jedoch<br />

das Vergehen <strong>der</strong> Mißhandlung Schutzbefohlener nach § 223b<br />

StGB. Bei <strong>der</strong> Aufklärung von Vergehen dürfen nur Personalien,<br />

Arbeitgeber und Angaben zu Geldleistungen offenbart werden,<br />

§ 73 Nr. 2 i.V. m. § 72 Abs. 1 Satz 2 SGB X. Das rechtfertigt die<br />

Beschlagnahme <strong>der</strong> Betreuungsakte nicht.<br />

Gemäß § 69 Abs. 1 Nr. 1 SGB X ist e<strong>in</strong>e Offenbarung zulässig,<br />

soweit sie erfor<strong>der</strong>lich ist <strong>für</strong> die Erfüllung e<strong>in</strong>er gesetzlichen<br />

Aufgabe nach dem Sozialgesetzbuch durch e<strong>in</strong>en Leistungsträger<br />

(1. Alternative) o<strong>der</strong> <strong>für</strong> die Durchführung e<strong>in</strong>es damit zusammenhängenden<br />

gerichtlichen Verfahrens e<strong>in</strong>schließlich e<strong>in</strong>es Strafverfahrens<br />

(2. Alternative). Zwar gehört es zu den Aufgaben <strong>der</strong><br />

Jugendämter, K<strong>in</strong><strong>der</strong> und Jugendliche vor Gefahren <strong>für</strong> ihr Wohl zu<br />

schützen (§ 1 Abs. 3 SGB VIII) und damit Mißhandlungen entgegenzuwirken.<br />

Ob die Jugendämter dazu auch Strafanzeigen erstatten<br />

und von sich aus Sozialdaten offenbaren dürfen, ist strittig (da<strong>für</strong><br />

unter an<strong>der</strong>em Senat von Berl<strong>in</strong> <strong>in</strong> Drucksache Nr. 673 <strong>der</strong> 10.<br />

Wahlpersiode des Abgeordnetenhauses von Berl<strong>in</strong>, woraus sich<br />

jedoch e<strong>in</strong>e entsprechende Verpflichtung <strong>der</strong> Träger <strong>der</strong> Jugendo<strong>der</strong><br />

Sozialhilfe nicht herleiten läßt). Gemäß § 64 SGB VIII (KJHG)<br />

dürfen personenbezogene Daten nur zu dem erhobenen Zweck<br />

verwendet und im S<strong>in</strong>ne des § 69 SGB X offenbart werden, soweit<br />

<strong>der</strong> Erfolg e<strong>in</strong>er zu gewährenden Leistung nicht <strong>in</strong> Frage gestellt<br />

wird. Unter an<strong>der</strong>em unter Berufung darauf hat das Jugendamt R.<br />

e<strong>in</strong>e Offenbarung abgelehnt (und die Senatsverwaltung <strong>für</strong> Inneres<br />

<strong>der</strong> zuständigen Sozialarbeiter<strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Aussagegenehmigung versagt).<br />

Da die Prüfung <strong>der</strong> Offenbarungsbefugnis gemäß § 69 Abs. 1<br />

Nr. 1 1. Alternative SGB X dem Leistungsträger obliegt (Borchert/<br />

Hase/Walz, SGB X 2, Rdn. 96 zu § 69 SGB X, Willenbücher/<br />

Borcherd<strong>in</strong>g <strong>in</strong> ZfSH/SGB 1988 S. 130), ist diese Entscheidung<br />

h<strong>in</strong>zunehmen. Die Zulässigkeit e<strong>in</strong>er Offenbarung gemäß § 69<br />

Abs. 1 Nr. 1 2. Alternative SGB X wäre hier nur gegeben, wenn das<br />

283

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