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Rechtsfragen in der Beratung - Bundeskonferenz für ...

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Stellung von Pflegeeltern<br />

Urteil des Bundesverfassungsgerichts<br />

vom 17. Oktober 1984 *<br />

Wenn e<strong>in</strong> K<strong>in</strong>d gegen den Willen <strong>der</strong> Eltern <strong>in</strong> Pflege gegeben wird,<br />

so ist dies <strong>der</strong> stärkste vorstellbare E<strong>in</strong>griff <strong>in</strong> das Elternrecht des<br />

Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG, <strong>der</strong> <strong>in</strong> gleicher Intensität das K<strong>in</strong>d selbst<br />

trifft, das von se<strong>in</strong>en Eltern getrennt wird (vgl. BVerfGE 60, 79 [91]).<br />

Dabei gebührt den Eltern <strong>der</strong> Schutz des Art. 6 Abs. 3 GG nicht nur<br />

im Augenblick <strong>der</strong> Trennung <strong>der</strong> K<strong>in</strong><strong>der</strong> von <strong>der</strong> Familie, son<strong>der</strong>n<br />

auch, wenn es um Entscheidungen über die Aufrechterhaltung<br />

dieses Zustands geht.<br />

An<strong>der</strong>erseits ist zu berücksichtigen, daß § 1632 Abs. 4 BGB erst<br />

zu e<strong>in</strong>em Zeitpunkt Bedeutung gew<strong>in</strong>nt, zu dem sich das K<strong>in</strong>d<br />

bereits längere Zeit <strong>in</strong> Pflege bef<strong>in</strong>det, so daß die unmittelbare<br />

Trennungsphase bereits abgeschlossen ist. Dementsprechend stellt<br />

die Vorschrift nicht auf die Trennung von den Eltern, son<strong>der</strong>n auf<br />

die Wegnahme von den Pflegeeltern ab. Sie geht davon aus, daß<br />

zwischen dem K<strong>in</strong>d und se<strong>in</strong>en Pflegeeltern als Folge e<strong>in</strong>es länger<br />

andauernden Pflegeverhältnisses e<strong>in</strong>e gewachsene B<strong>in</strong>dung entstanden<br />

se<strong>in</strong> kann (vgl. Verh. des Deutschen Bundestages, 8. Wp.,<br />

151. Sitzung, Sten. Ber. S. 12035). Unter dieser Voraussetzung ist<br />

auch die aus dem K<strong>in</strong>d und den Pflegeeltern bestehende Pflegefamilie<br />

durch Art. 6 Abs. 1 GG geschützt, so daß Art. 6 Abs. 3 GG bei<br />

<strong>der</strong> Entscheidung über die Herausnahme des K<strong>in</strong>des aus se<strong>in</strong>er<br />

„sozialen“ Familie auch auf Seiten <strong>der</strong> Pflegeeltern nicht gänzlich<br />

außer acht bleiben darf.<br />

(S. 187)<br />

E<strong>in</strong>e Entscheidung nach § 1632 Abs. 4 BGB setzt zunächst die<br />

Feststellung voraus, daß e<strong>in</strong>e Kollision zwischen dem Interesse <strong>der</strong><br />

Eltern an <strong>der</strong> Herausgabe des K<strong>in</strong>des und dem K<strong>in</strong>deswohl besteht.<br />

Die Eltern s<strong>in</strong>d nach § 50a FGG persönlich und auch zu <strong>der</strong> Frage<br />

zu hören, wie e<strong>in</strong>e durch die Rückführung des K<strong>in</strong>des bestehende<br />

Gefährdung se<strong>in</strong>es leiblichen und seelischen Wohls durch geeignete<br />

Maßnahmen abgewendet werden kann. Auf diese Weise wird <strong>der</strong><br />

verfassungsrechtlichen Gewährleistung des Elternrechts Rechnung<br />

getragen. Zwar ist bei e<strong>in</strong>er länger andauernden Familienpflege<br />

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daneben die Pflegeperson zu hören (§ 50 c FGG), <strong>der</strong> zudem <strong>in</strong><br />

§ 1632 Abs. 4 BGB e<strong>in</strong> eigenes Antragsrecht auf Verbleiben des<br />

K<strong>in</strong>des <strong>in</strong> <strong>der</strong> Pflegestelle e<strong>in</strong>geräumt wird. Dar<strong>in</strong> liegt aber ke<strong>in</strong>e<br />

Verletzung von Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG im H<strong>in</strong>blick auf die leiblichen<br />

Eltern. E<strong>in</strong>mal entspricht es dem Interesse des K<strong>in</strong>des, wenn se<strong>in</strong>e<br />

<strong>der</strong>zeitigen Bezugspersonen sich zu Fragen äußern können, die im<br />

Zusammenhang mit e<strong>in</strong>er Übersiedlung des K<strong>in</strong>des stehen, und<br />

wenn dem Antrag <strong>der</strong> Eltern auf Herausgabe des K<strong>in</strong>des mit e<strong>in</strong>em<br />

eigenen Antrag <strong>der</strong> Pflegeeltern auf Verbleiben des K<strong>in</strong>des bei<br />

ihnen begegnet werden kann (vgl. BTDrucks. 8/2788, S. 40). Zum<br />

an<strong>der</strong>en wird damit gleichzeitig <strong>der</strong> Gewährleistung des Art. 6<br />

Abs. 1 GG entsprochen, soweit diese die Pflegefamilie umfaßt.<br />

(S. 188 f.)<br />

Anmerkung<br />

* Veröffentlicht <strong>in</strong> den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, 68. Bd.,<br />

S. 176 – 192.<br />

Urteil des Bundesverfassungsgerichts<br />

vom 14. April 1987*<br />

§ 1632 Abs. 4 BGB ist verfassungskonform dah<strong>in</strong> auszulegen, daß<br />

dem Herausgabeverlangen <strong>der</strong> Eltern o<strong>der</strong> e<strong>in</strong>es Elternteils, mit<br />

dem nicht die Zusammenführung <strong>der</strong> Familie, son<strong>der</strong>n e<strong>in</strong> Wechsel<br />

<strong>der</strong> Pflegeeltern bezweckt wird, nur stattzugeben ist, wenn mit<br />

h<strong>in</strong>reichen<strong>der</strong> Sicherheit e<strong>in</strong>e Gefährdung des körperlichen, geistigen<br />

o<strong>der</strong> seelischen Wohls des K<strong>in</strong>des ausgeschlossen werden<br />

kann.<br />

(S. 217)<br />

Bei e<strong>in</strong>er Entscheidung nach § 1632 Abs. 4 BGB, die e<strong>in</strong>e Kollision<br />

zwischen dem Interesse <strong>der</strong> Eltern o<strong>der</strong> des alle<strong>in</strong> sorgeberechtigten<br />

Elternteils an <strong>der</strong> Herausgabe des K<strong>in</strong>des und dem K<strong>in</strong>deswohl<br />

voraussetzt, verlangt die Verfassung e<strong>in</strong>es Auslegung <strong>der</strong> Regelung,<br />

die sowohl dem Elternrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG als<br />

auch <strong>der</strong> Grundrechtsposition des K<strong>in</strong>des aus Art. 2 Abs. 1 <strong>in</strong><br />

Verb<strong>in</strong>dung mit Art. 1 Abs. 1 GG Rechnung trägt. Im Rahmen <strong>der</strong><br />

erfor<strong>der</strong>lichen Abwägung ist bei <strong>der</strong> Auslegung von gesetzlichen<br />

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