An der blauen Donau - Die Freiheitlichen in Wien
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An der blauen Donau
Abstieg. Mit dem Aufstieg und Abstieg verbunden ist der
Name Jörg Haider – was halten Sie persönlich von Jörg
Haider?
Hirnschall: Ich halte Jörg Haider für ein enormes
politisches Talent, der wie kein anderer in
der Lage war, Menschen zu begeistern, Wahlerfolge
herbeizuführen – gleichzeitig aber ist er eine Persönlichkeit,
die dann in der Lage ist, innerhalb kurzer
Zeit wieder das, was er mit Erfolg und Talent
aufgebaut hat, wieder zunichte zu machen. Und es
ist leider so, dass er als Politiker sehr sprunghaft ist
und Dinge, die festgelegt wurden gemeinsam, acht
Tage später oder vielleicht zwei Tage später nicht
mehr gelten.
War es für die Partei in Summe gesehen ein Fluch
oder ein Segen, mit Jörg Haider zu gehen?
Hirnschall: Es war zunächst ein Segen und
es war dann natürlich in der letzten Phase ein
Verhängnis.
Wo sehen Sie die Wurzeln?
Hirnschall: Ich sehe die Wurzeln schon in
seinem Charakter, in seiner Person. Ich hab also
dann eigentlich schon während meiner aktiven
Zeit für mich die Schlussfolgerung gezogen, dass
ich möglichst auf die Autonomie in Wien bedacht
bin, möglichst wenig Kontakte habe und daher
auch möglichst wenig tangiert werden kann von
irgendwelchen raschen Gedankensprüngen.
Was war Ihr größter Misserfolg?
Hirnschall: Mein größter Misserfolg war,
dass ich das Verhängnis Knittelfeld kommen
gesehen habe, mich bemüht habe, es zu verhindern
und es nicht geschafft habe. Ich hab
mir wirklich den Mund wund geredet und gewarnt
davor. Mir war klar, wie das ausschauen
wird das Ergebnis, dass das in der Lage, ist die
Partei zu sprengen. Stundenlang hab ich mit engen
Freunden darüber gesprochen – die meiner
Meinung nach damals wirklich verblendet waren.
Ich hab‘s nicht geschafft. Ich konnte nicht
überzeugen. Ich war dann in Knittelfeld nicht
mit dabei und hab also dann natürlich die Ergebnisse
so wie alle anderen mitzutragen gehabt.
Und das war dann eigentlich zu sehen, wie
irgendwo ein Lebenswerk zerstört wird und das
war bitter. Zumal ich ja sagen muss – das muss
man hier einfügen – dass ich entgegen der Lesart,
die es von Medien gibt und manchmal auch
in der eigenen Partei gibt – glaube, dass die Regierungsbildung
und diese ersten Jahre der Regierung
erfolgreiche Jahre auch für Österreich
waren – auch für die Partei gewesen sind. Die
Zustimmung zur FPÖ in diesen Jahren und zu
Susanne Riess-Passer und Karl Heinz Grasser
war sehr hoch! Wir haben also bis zu Knittelfeld
noch immer in jede Wahl hineingehen können
und auch als Regierungspartei noch 20 % bekommen.
Was hätte konkret geschehen müssen, um Knittelfeld
zu verhindern?
Hirnschall: Knittelfeld hätte verhindert
werden können – durch Jörg Haider, jederzeit!
Es wird darum gerätselt, warum er es nicht getan
hat – aber er wäre in der Lage gewesen immerhin
mit seiner rhetorischen Fähigkeit, aber
auch der Autorität, die er gehabt hat, dieses
Schauspiel da unten jederzeit zu beenden und
die Leute zur Vernunft zu bringen. Er hat es
nicht getan. Es gibt verschiedene Auslegungen,
warum nicht. Eine Auslegung ist die, dass er sich
damals physisch und psychisch in einer schwierigen
Situation befunden hat und die Dinge treiben
hat lassen.
Das Interview mit Dr. Erwin Hirnschall
(* 22. Juli 1930; † 26. August 2011)
wurde im Jahr 2008 von Prof. Walter
Seledec im Auftrag des FPÖ-Bildungsinstitutes
geführt und aufgezeichnet.
im Wiener Landtag sollte Hirnschall übrigens 32 Jahre bis zum Jahr
1996 behalten. Damit ist er bis heute einer der am längsten dienenden
Abgeordneten in Wien. Das war er eigentlich auch bereits schon 1977
so. Umso bemerkenswerter, und als Zeichen für die Stärke des Atterseekreises
ist zu werten, dass dem Langzeitabgeordneten Erwin Hirnschall
damals Norbert Steger als Wiener Obmann vorgezogen wurde.
Hirnschall blieb jedenfalls nicht auf der Position eines einfachen
Abgeordneten stehen. Bereits zu Kreiskys Zeiten wurde er analog zum
Rechnungshofpräsidenten im Bund zum Vorsitzenden des Wiener Kon-
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