An der blauen Donau - Die Freiheitlichen in Wien
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An der blauen Donau
„
Tatsächlich mussten
viele Österreicher im
März 1938 den Eindruck
haben, dass sie nur die
eine Diktatur gegen eine
andere eintauschen
würden.
terreichische Konflikt tatsächlich zu so etwas wie einer innerdeutschen
Angelegenheit.
Insgesamt waren die Versuche Schuschniggs, zuerst sozialdemokratische
Anhänger durch eine Politik sozialer Signale für die „Vaterländische
Front“ zu gewinnen, aber auch seine Versuche, die nationale
Opposition einzubinden, zum Scheitern verurteilt. Überdies blieb seiner
bürokratischen und autoritären Staatsführung
ein Erfolg seiner wirtschaftspolitischen Maßnahmen
verwehrt. In Berlin hingegen plante
Göring als Beauftragter des Vierjahresplans der
deutschen Rüstungswirtschaft bereits zu diesem
Zeitpunkt die Einbeziehung der österreichischen
Ressourcen als feste Größe ein. Und der deutsche
Gesandte in Wien, Franz von Papen, der
Hitler im Jänner 1933 zur Kanzlerschaft verholfen
hatte, spielte auch in Österreich die Rolle des
Steigbügelhalters für die NS-Machtergreifung.
Nur eine Diktatur gegen
eine andere getauscht?
Das sukzessive Nachgeben der Regierung
Schuschnigg gegenüber dem Druck aus Deutschland
und dem Drängen der illegalen Nationalsozialisten in Österreich
selbst wurde von breiten Kreisen der politischen Öffentlichkeit, insbesondere
von der exilierten Führung der Sozialdemokratie, so verstanden,
als wäre der Austrofaschismus der Wegbereiter des Anschlusses
an Hitler-Deutschland. Tatsächlich mussten viele Österreicher im März
1938 den Eindruck haben, dass sie nur die eine Diktatur gegen eine
andere eintauschen würden. Dass der autoritäre Regierungsstil im klerikalen
Ständestaat mit dem NS-Totalitarismus in keiner Weise vergleichbar
sein sollte, konnten damals die wenigsten Zeitgenossen erkennen.
Insgesamt muss gesagt werden, das die Idee des Zusammenschlusses
aller deutschsprachigen Gebiete und damit auch jener der ehemaligen
Habsburger Monarchie in einem großen Deutschen Reich eine lange,
tief in die Geschichte zurückreichende und keineswegs immer antidemokratische
oder imperialistische Tradition hat. Aktualisiert wurde diese
Idee in der Folge des sich im Herbst 1918 abzeichnenden militärischen
Zusammenbruchs der Habsburger Monarchie und der anschließenden
Auflösung durch neue Staatsbildungen im östlichen Mitteleuropa.
Nachdem die Tschechen und die Südslawen eine Zusammenarbeit mit
den Deutschen in einer neuen Staatenkonföderation ablehnten, musste
die zwangsläufig ins Leben gerufene Republik Deutsch-Österreich zur
Sicherung ihrer Lebensfähigkeit eine andere Anbindung suchen. Der
am heftigsten von den Sozialdemokraten in den ersten Nachkriegstagen
geäußerte Wunsch eines Anschlusses an Deutschland zur Bildung einer
gesamtdeutschen Republik wurde in der Folge von den Christlichsozialen
und auch von den Deutschnationalen befürwortet. Dieses Staatsziel
wurde demnach auch am 12. November 1918 aus Anlass der feierlichen
Proklamation der Republik von der Parlamentsrampe ganz offiziell verkündet.
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