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An der blauen Donau - Die Freiheitlichen in Wien

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An der blauen Donau

Flügel lebte in Teilen der Fortschrittspartei

ebenso weiter

wie die Deutschnationalen an

die Dissidenten schon der siebziger

und frühen achtziger Jahren

anknüpfen konnten.

Allein schon die Schnelligkeit,

das Tempo, mit dem

dieser Übergang sich vollzog,

muss Zweifel daran aufkommen

lassen, wie tiefgreifend

der Wandel war, der in diesen

Jahren vor sich ging. Personelle

Kontinuität lässt sich am

Schicksal der politischen Elite

in vielen Fällen ebenso deutlich

ablesen, wie das für die

Wählerschaft gilt: Bendel nahm

seinen Weg von der Vereinigten

Deutschen Linken über die

Fortschrittspartei zum Nationalverband;

Glöckner landete

sogar bei den Radikalen. Der

verfassungstreue Großgrundbesitzer

Schreiner saß bei den

Agrariern neben Bauern, die vor

Auf dem flachen

Lande zumal ging der

Wechsel der Parteien nahezu

unmerklich vor sich.

kurzem noch Schönerer – und

nicht dem Grafen Oswald Thun-

Salm – Gefolgschaft gelobt

hatten. Auf dem flachen Lande

zumal ging der Wechsel der

Parteien nahezu unmerklich

vor sich. Die bäuerlichen Vertreter

fühlten sich in der Vereinigten

Deutschen Linken ebenso

nachrangig behandelt wie bei

den Alldeutschen, nur um sich

auch als stärkste Fraktion des

deutschfreiheitlichen Lagers

ab 1907 in national-politischen

Fragen weiterhin willig der Führung

ihrer städtischen Kollegen

unterzuordnen. Diese Kontinuität

der Lager wurde auch von

der Gegenseite betont: Das

„Linzer Volksblatt“ belegte unterschiedslos

auch noch Beurle

und seine Kameraden mit dem

Ausdruck „Judenliberale“.

Die Betonung dieser grundlegenden

Kontinuität über weite

Strecken soll nicht in einem

apologetischen Sinne missverstanden

werden. Ein derartiger

Befund ist außerstande, auf die

wertende Frage eine Antwort zu

liefern, wie weit man die deutschfreiheitlichen

Gruppierungen in

der Spätzeit der Monarchie als

„Liberale“ einzustufen vermag.

Sicher erscheint bei einer genauen

Analyse der politischen

Struktur jedoch, dass die Annahme

eines klaren Bruches zwischen

„Liberalen“ auf der einen

Seite und „Deutschnationalen“

auf der anderen an der gesellschaftlichen

Realität vorbeigeht,

vielleicht einzig und allein in

Wien einiges für sich hat. „Nationale“

und „liberale“ Elemente

waren vor und nach dem Umbruch

der neunziger Jahre vertreten:

Die Liberalen waren nicht

weniger an der Vorherrschaft

der Deutschen in ihrer Reichshälfte

und an der Wahrung des

„nationalen Besitzstandes“ interessiert

als ihre Nachfolger.

Ihre Verankerung unter der Elite

der „Inseldeutschen“ ließ sie die

Grenzen dieses Besitzstandes

vielfach sogar noch weiter ziehen,

ausgehend von einem

noch ungebrochenen Selbstbewusstsein,

das sie eben auch toleranter

erscheinen ließ. Diese

Unterschiede waren eine Frage

der Taktik, eine Reaktion auf

die sich wandelnden Umstände.

Die „Nationalen“ wiederum

ließen die Kontrollfunktion des

Liberalismus, das stetige und

wache Misstrauen gegen die

Übergriffe des Staatsapparates

stärker hervortreten als die von

diversen Rücksichten geplagten

„gouvernmentalen“ Altliberalen. ◆

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