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Witti-Buch2 2001.qxd - Austrian Ludwig Wittgenstein Society

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Konstantin Pollok<br />

In diese bereits sehr differenzierte Konzeption läßt sich jedoch im Sinne der<br />

eingangs zitierten <strong>Wittgenstein</strong>-Passage eingreifen: Wenn die Prinzipien der dritten,<br />

also der philosophischen Ebene, wie Friedman betont, eine konstitutive Funktion, eine<br />

Führungs- und Kontrollfunktion inbezug auf den intellektuellen Fortschritt haben sollen,<br />

dann müssen sie sich hinsichtlich ih-rer Gewißheit von den beiden anderen Ebenen<br />

unterscheiden, denn ein Prinzip kann nur inso-fern als Entscheidungskriterium und<br />

Kontrollinstanz dienen, als es selbst relativ zum Kontrol-lierten sicher ist. Die Gewißheit<br />

der third-level principles muß wohlgemerkt nicht absolut sein, aber diese Prinzipien<br />

können nicht genauso fraglich sein wie das zu prüfende Prinzip selbst. Die von<br />

Friedman abgelehnte Differenz hinsichtlich der Gewißheit der drei Schichten ist also<br />

vielmehr konstitutiv dafür, daß eine kritische, d. h. nicht-willkürliche Interaktion, namentlich<br />

zwischen den wissenschaftlichen Paradigmen und dem philosophischen<br />

Kommuni-kationsrahmen, überhaupt stattfinden kann. Oder knapp in <strong>Wittgenstein</strong>s Bild<br />

formuliert: ein Flußbett kann nicht wiederum aus Wasser bestehen.<br />

Doch was Friedman hier als Philosophie anspricht, nämlich Wissenschaftstheorie im<br />

weitesten Sinne von Aristoteles über Kant bis zu Friedman selbst, kann und muß noch<br />

weiter modifiziert bzw. differenziert werden. Im Sinne einer Erweiterung des<br />

Philosophiebegriffs hat der späte <strong>Wittgenstein</strong> mit dem Konzept der Mythologie auf eine<br />

wesentliche und neue Di-mension verwiesen, die zum einen erkenntnisleitend ist, zum<br />

anderen aber auch wissen-schaftsexterne, d. h. lebensweltliche Überzeugungen<br />

miteinbezieht. Einem erkenntnistheoreti-schen Skeptizismus und Relativismus zum<br />

Trotz10 gibt es also verschiedene Aggregatzustän-de des Wissens; der feste, wenngleich<br />

nicht absolut-gewisse Grund wissenschaftlicher und anderer Sprachspiele besteht<br />

(neben Sätzen der Logik) 11 in der Konstanz bestimmter Lebensformen:<br />

"144. [...] Was feststeht, tut dies nicht, weil es an sich offenbar oder einleuchtend<br />

ist, sondern es wird von dem, was darum herumliegt, festgehalten."<br />

(<strong>Wittgenstein</strong> 1999, 150)<br />

"229. Unsre Rede erhält durch unsre übrigen Handlungen ihren Sinn." (<strong>Wittgenstein</strong><br />

1999, 164)<br />

Zur Verdeutlichung mag hier der aktuelle Verweis auf ethisch relevante<br />

Vorstellungen der Zivilgesellschaft vom guten Leben genügen, die gegenwärtig sogar in<br />

Konkurrenz treten zu den wissenschaftlichen Ambitionen der Biotechnologie. Daß hier<br />

ebenfalls ein Austausch zwischen den Bereichen, d. h. mitunter auch ein Wandel<br />

moralischer Vorstellungen in Bezug auf ungeborenes Leben bzw. Zellhaufen, besteht,<br />

ist mit <strong>Wittgenstein</strong>s Bild vom Fluß bereits vollständig erfaßt. Praxisbezogene<br />

Realitätskonzeptionen bzw. Weltbilder, also dasjenige, was <strong>Wittgenstein</strong> als Mythologie<br />

angesprochen hat, beinhalten hier beispielsweise eine Abscheu vor Monsterkreaturen. 12<br />

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