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Witti-Buch2 2001.qxd - Austrian Ludwig Wittgenstein Society

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War <strong>Wittgenstein</strong> Hitlers "Jude aus Linz"...?<br />

Der "Vorbemerkung des Übersetzers" (Cornish 1998, S. 8) entnehmen wir, dass die<br />

deutsche Übersetzung Fehler der englischen Originalausgabe verbessert und<br />

überhaupt dem Manuskript und den Intentionen von Cornish näher steht, sodass die<br />

englische Fassung außer Betracht bleiben konnte.<br />

Fassen wir den Inhalt von Cornish's Der Jude aus Linz ganz kurz zusammen:<br />

Cornish behauptet ein Naheverhältnis zwischen <strong>Wittgenstein</strong> und Hitler an der Linzer<br />

Realschule, in dessen Verlauf es zu einer Auseinandersetzung zwischen den beiden<br />

gekommen sei, die darin gegipfelt habe, dass Hitler den aus einer Konvertitenfamilie<br />

stammenden <strong>Wittgenstein</strong> als "Saujud" beschimpft habe. Dieser Streit habe beiderseits<br />

Folgen gehabt: Hitler sei durch das Kennenlernen <strong>Wittgenstein</strong>s zum fanatischen<br />

Antisemiten geworden, wobei Cornish zu einer extrem monokausalen Personalisierung<br />

kommt:<br />

"Aber trotz alledem und trotz jüngst erschienener Bücher, die den deutschen<br />

Nationalcharakter bloßstellen wollen, war der Holocaust vor allem das<br />

Lebenswerk eines Individuums, nämlich Adolf Hitlers." (Cornish 1998, S. 15)<br />

Anderseits habe sich <strong>Wittgenstein</strong> offenbar ständig dieses Streits erinnert und<br />

deswegen von England aus den Krieg gegen die Achsenmächte, die Hitler-Koalition,<br />

betrieben, bei der Dechiffrierung der reichsdeutschen Geheimcodes mitgeholfen und -<br />

unter der Tarnung einer nicht gerade spezifisch marxistisch aussehenden Philosophie -<br />

in Cambridge eine kryptokommunistische, durch Homoerotik verbundene, subversive<br />

Gruppe gebildet, welche bis in den Kalten Krieg für die Sowjets spioniert habe.<br />

Cornish betont im Vorwort zur deutschen Ausgabe, als angelsächsischer Forscher<br />

aus großer Entfernung könne er sich mit der Vorgeschichte des Holocaust "viel<br />

unbefangener", weil "unbelastet" (ebd. S.9) beschäftigen. Leider zeigt sich aber, dass<br />

gerade deswegen Cornish auch von vielem notwendigen Wissen unbelastet ist. So<br />

wollen wir einige Hauptmängel seines Buches aufzeigen:<br />

Cornish missversteht die Tatsache, dass <strong>Wittgenstein</strong> nach den Sommerferien 1903<br />

in die Linzer Realschule eingetreten ist; er geht nicht vom österreichischen<br />

Schuljahrsbeginn im September, sondern vom damaligen deutschländischen<br />

Schuljahrsbeginn zu Ostern aus und glaubt daher, dass <strong>Wittgenstein</strong> erst mitten im<br />

Schuljahr 1903/04 in die Realschule eingetreten ist. Dazu schreibt er noch von irrenden<br />

Autoren ab, dass 1904/05 das gemeinsame Schuljahr <strong>Wittgenstein</strong>s und Hitlers<br />

gewesen sei - womit er die beiden 16 Jahre alt macht. In diesem Schuljahr war Hitler<br />

aber an der Realschule in Steyr (OÖ.), ca. 35 km südöstlich von Linz. D.h. dass Cornish<br />

von anderthalb gemeinsamen Schuljahren ausgeht, aber durch seinen Irrtum die<br />

zeitliche Basis für seine Kombinationen auf ca. 5 Monate verkürzt. Es macht staunen,<br />

was alles in dieser kurzen Zeit an Kontakten zwischen den beiden vorgefallen sein soll.<br />

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