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Witti-Buch2 2001.qxd - Austrian Ludwig Wittgenstein Society

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Monika Seekircher<br />

Wenn ich an meine Beichte denke, so verstehe ich das Wort "...und hätte der<br />

Liebe nicht u.s.w.". Denn auch diese Beichte nützte mir nichts wenn sie<br />

gleichsam wie ein ethisches Kunststück gemacht würde. Ich will aber nicht<br />

sagen, daß ich sie darum unterlassen habe, weil mir das bloße Kunststück nicht<br />

genug war: ich bin zu feig dazu. (MS 183)<br />

Ende 1936 scheint der Gedanke an eine Beichte ausgereift zu sein und <strong>Wittgenstein</strong><br />

setzt ihn in die Tat um. Am 7.11.1936 legt er folgendes briefliches Geständnis vor Hänsel<br />

ab:<br />

Ich habe Dich & mehrere Andere einmal in der italienischen Gefangenschaft<br />

damit angelogen, daß ich sagte, ich stamme zu einem Viertel von Juden ab &<br />

zu drei Viertel von Ariern, obwohl es sich gerade umgekehrt verhält. Diese feige<br />

Lüge hat mich lang gedrückt, & ich habe diese Lüge, wie viele andere, auch<br />

andern Menschen gesagt. Ich habe bis heute nicht die Kraft gefunden, sie zu<br />

gestehen. - Ich hoffe, Du wirst mir verzeihen; ja ich hoffe sogar, Du wirst mit mir<br />

weiter & so wie bisher verkehren & mich nicht weniger gern haben. Ich weiß, das<br />

ist viel erwartet, aber dennoch hoffe ich es. Ich habe Dir auch sonst noch<br />

manche Lüge abzubitten. - Ich wünsche, daß Du diesen Brief Deiner lieben Frau<br />

& den Kindern, meinen Geschwistern & ihren Kindern, dem Drobil & meinen<br />

übrigen Freunden & der Frau Sjögren bekanntmachst; d.h. ihn ihnen zu lesen<br />

gibst. Mögen auch sie mir alle verzeihen; ich weiß, daß ich Dir & Allen einen<br />

großen Schmerz zufüge & doch muß ich es tun. Ich fürchte, daß mir mancher<br />

vielleicht nicht ganz wird verzeihen können.<br />

Obwohl sich - wie im folgenden gezeigt werden soll - eine ganze Reihe von weiteren<br />

Geständnisbriefen <strong>Wittgenstein</strong>s erschließen lassen, ist dies der einzige, der erhalten<br />

ist. Zugleich dürfte dies auch der erste sein, wie aus <strong>Wittgenstein</strong>s Tagebucheintragung<br />

vom 19.11.1936 hervorgeht:<br />

284<br />

Ich habe vor ca. 12 Tagen an Hänsel ein Geständnis meiner Lüge bezüglich<br />

meiner Abstammung geschrieben. Seit der Zeit denke ich wieder und wieder<br />

darüber nach, wie ich ein volles Geständnis allen mir bekannten Menschen<br />

machen kann und soll. Ich hoffe und fürchte! (MS 183)<br />

Tags darauf notiert er dann in sein Tagebuch:<br />

Nachdem ich nun das eine Geständnis gemacht habe, ist es als könne ich den<br />

ganzen Lügenbau nicht länger halten, als müsse er ganz niederstürzen. Wäre<br />

er nur schon ganz eingestürzt. So daß die Sonne auf Gras und auf die Trümmer<br />

scheinen könnte. Am schwersten wird mir der Gedanke an ein Geständnis<br />

gegen Francis, weil ich mich für ihn fürchte und vor der fürchterlichen

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