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Witti-Buch2 2001.qxd - Austrian Ludwig Wittgenstein Society

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War <strong>Wittgenstein</strong> Hitlers "Jude aus Linz"...?<br />

Reifegrades des gleichaltrigen Hitler Bedenken und Zweifel bestehen. So hat dieser -<br />

15-jährig - sofort nach der Rückkehr von seiner Firmung zu Pfingsten 1904 in Linz an<br />

seinen Wohnort Leonding die Zeit - wie üblich - mit einem wilden Indianerspiel<br />

zusammen mit seinen früheren Volksschulkollegen zugebracht. Wie sollte es bei zwei so<br />

unterschiedlich entwickelten Schülern zum Überspringen des Schopenhauer'schen<br />

Funkens gekommen sein? Cornish scheint sich beide ständig als gut informierte<br />

Zeitungsleser und geistig rege Besucher eines philosophischen Oberseminars<br />

vorzustellen.<br />

Dazu kommt, dass Hitlers Beschäftigung mit Schopenhauer erst in seiner Münchner<br />

Zeit einsetzt, 10 Jahre nachdem er die Linzer Realschule - und damit<br />

Kontaktmöglichkeiten mit <strong>Wittgenstein</strong>, wie intensiv immer sie gewesen sein mögen -<br />

verlassen hat. Aber auch ein nachträglicher Einfluss <strong>Wittgenstein</strong>s auf Hitler ist<br />

auszuschließen, sind doch - mit Ausnahme des Tractatus - seine philosophischen<br />

Schriften erst ab 1953 veröffentlicht worden, 2 Jahre nach seinem eigenen Tod und 8<br />

Jahre nach Hitlers Tod.<br />

Aus ähnlichem Grund ist es schwer nachvollziehbar, wenn Cornish die<br />

Behauptungen Hitlers von der Entwicklung des europäischen Judentums über<br />

Assimilation bis zur Voranbringung des Bolschewismus quasi als Hitlers Biographie<br />

<strong>Wittgenstein</strong>s hinstellt. Hitler musste aber wegen seines Abgangs nach Steyr 1904<br />

<strong>Wittgenstein</strong> aus den Augen verloren haben und hat Mein Kampf erst 1924 in der<br />

Nobelhaft zu Landsberg (Bay.) geschrieben, einige Zeit bevor eine angebliche Wendung<br />

<strong>Wittgenstein</strong>s zum Marxismus eingesetzt haben mag. (Anderseits könnte <strong>Wittgenstein</strong> -<br />

wenn er Hitler von dem einen Realschuljahr in Erinnerung behalten haben sollte -<br />

dessen Aufstieg in den 1920/30er Jahren beobachtet haben.)<br />

Hitlers Antisemitismus allein auf Linzer Erlebnisse zurückzuführen und den Einfluss<br />

seiner Wiener Jahre zu wenig in Rechnung zu stellen, läuft wohl auf eine<br />

Fehleinschätzung hinaus. Der Beweis, dass Hitler durch irgendwelche Kontakte mit<br />

seinem Mitschüler <strong>Wittgenstein</strong> in Linz zum fanatischen Antisemiten wurde und dass<br />

<strong>Wittgenstein</strong> wegen einer Beschimpfung (oder wegen Prügel, wie Cornish den Vorfall<br />

steigert) seitens des jungen Hitler in Linz zum Kryptokommunisten wurde, dürfte noch<br />

ausstehen. Beider spätere Entwicklung darf auch ohne Kontakte irgendwelcher Art in<br />

Linz als möglich betrachtet werden. Den zwingenden und überzeugenden Beweis für<br />

diese seine Thesen bleibt Cornish trotz Aufgebots einer riesigen Statisterie, die er in ein<br />

dichtes Beziehungsgeflecht rund um die beiden Hauptpersonen fügt, schuldig.<br />

Der Bericht über <strong>Wittgenstein</strong>s kommunistische Wühltätigkeit und prosowjetische<br />

Spionage und die von ihm rekrutierten "Komplizen" in Cambridge wirkt auf den ersten<br />

Blick als besser recherchiert denn die G'schichten aus der Linzer Schule - was den<br />

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