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Witti-Buch2 2001.qxd - Austrian Ludwig Wittgenstein Society

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Hermann Möcker<br />

Die Passage in Mein Kampf kann sich aber genauso gut auf einen Vorfall in Steyr<br />

beziehen, wo Hitler in seinem letzten Realschuljahr einen mosaischen Mitschüler und<br />

einen mosaischen Deutschlehrer hatte, über dessen Unterricht Hitler sich noch 1942<br />

alterierte. Der Antisemitismus der Steyrer Realschüler gipfelte darin, dass sie ihrem<br />

Deutschprofessor einen bösen Streich spielten, indem sie ihn in seinem Arbeitszimmer<br />

einsperrten. Es ist nun durchaus denkbar, dass der jüdische Mitschüler aus Mitleid mit<br />

seinem Lehrer bei einer Untersuchung des Vorfalles Angaben über die Täter machte,<br />

also eine offenbar erwartete Schweigsamkeit brach.<br />

Es fällt auf, dass Cornish auf Hitlers Steyrer Realschuljahr nicht eingeht, wobei zu<br />

klären wäre, ob er davon nichts wusste - weil auch Hitler über seine Zeit in Steyr<br />

schweigt - oder ob er sein Wissen absichtlich zurückhielt, weil ihm ein Vorfall auf der<br />

Steyrer Realschule nicht in seine "Wunschkombinationen" passte. Ein Buchtitel wie Der<br />

Jude aus Steyr hätte Cornish's Behauptungen über das Naheverhältnis Hitlers und<br />

<strong>Wittgenstein</strong>s in Linz nicht gerade gestützt.<br />

Und Hitler hat die Linzer Realschule nicht deswegen verlassen, weil er - wie Cornish<br />

annimmt - von <strong>Wittgenstein</strong> wegen irgendetwas verpetzt worden ist, sondern um nach<br />

der mit Nachsicht positiv beurteilten Wiederholungsprüfung aus Französisch im Herbst<br />

1904 an einer anderen Realschule (Steyr) aufsteigen zu können.<br />

Wenn Cornish in Hitlers Bemerkungen (1935, S. 342), dass Juden im<br />

Assimilationsprozess die deutsche Sprache "radebrechen" (womit v.a. hebräischjiddische<br />

Interferenzen auf die Grammatik des Deutschen gemeint sind), eine<br />

Spiegelung von <strong>Wittgenstein</strong>s Stottern sehen will (sonst sprach dieser ein korrektes<br />

Hochdeutsch), so darf sich Cornish nicht wundern, wenn der Eindruck entsteht, dass er<br />

geradezu monoman Auswirkungen einer angeblichen Begegnung zwischen Hitler und<br />

<strong>Wittgenstein</strong> verfolgt.<br />

Cornish bleibt auch seiner Hauptthese nicht treu, dass es zwischen Hitler und<br />

<strong>Wittgenstein</strong> einen Streit gegeben habe, in dessen Verlauf Adolf den andern als "Saujud"<br />

beschimpft habe. Später macht er daraus gar eine Prügelei und schließlich einen<br />

intensiven geistigen Kontakt, wobei <strong>Wittgenstein</strong> den 14-jährigen Hitler in die Schriften<br />

Schopenhauers eingeweiht haben soll. Cornish entwickelt im halben Umfang seines<br />

Buches die Philosophie Schopenhauers und seiner Vorläufer, aus denen Hitler die<br />

"Bedeutung der Geschichte" erkannt haben und sich zum Antisemiten entwickelt haben<br />

soll. Wir wollen die umfangreichen und einlässlichen philosophischen Erörterungen von<br />

Cornish jetzt nicht auch noch zum Gegenstand dieser Rezension machen, sondern<br />

nehmen sie einmal so, wie sie lauten.<br />

Es stellt sich aber eine grundsätzliche Frage: Man kann sich den 14-jährigen<br />

<strong>Wittgenstein</strong> schon durchaus altklug und belesen vorstellen, während bezüglich des<br />

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