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Witti-Buch2 2001.qxd - Austrian Ludwig Wittgenstein Society

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<strong>Wittgenstein</strong>s Beitrag zur modernen Konzeption der narrativen Identität...<br />

das Andere nicht Gegenstück des Selben bildet, sondern zu seiner innersten<br />

Sinnkonstitution gehört." 11<br />

Lassen wir nun unsere drei Untersuchungsstränge zusammenlaufen, indem wir sie<br />

auf Ricœurs narrative Konzeption personaler Identität beziehen. Nach dieser<br />

Konzeption konstituiert sich die Identität einer Erzählfigur in Wechselbeziehung mit ihrer<br />

erzählten Lebensgeschichte. Die Figur zeichnet aus, daß sie 1. eine Person ist, der<br />

mentale und physische Prädikate zugeschrieben werden können, 2. sie einen Eigenleib<br />

besitzt, der ihre Äußerungsakte und Handlungen zu je-ihrigen werden läßt, d.h. sie kann<br />

sich selbst als Sprecher und Handelnder bezeichnen, 3. sie ein Handlungsvermögen im<br />

Sinne des ich kann besitzt, wodurch ihr von anderen Personen Handlungen<br />

zugeschrieben werden können und 4. ihre Beständigkeit in der Zeit durch zwei Pole<br />

gekennzeichnet ist: den Charakter, der eine Identität als Selbigkeit darstellt, und die<br />

Selbst-Ständigkeit aufgrund des Wort-Haltens, die für die Identität als Selbstheit steht.<br />

Auf diese Weise verschränkt Ricœur die beiden von ihm unterschiedenen<br />

Identitätsbegriffe der Selbigkeit und der Selbstheit.<br />

<strong>Wittgenstein</strong>s Beitrag zu dieser Konzeption ist jedoch weitaus größer, als Ricœur<br />

expliziert. Durch <strong>Wittgenstein</strong>s Analysen zur Privatsprache und zu privaten<br />

Bewußtseinszuständen sowie zum Verhältnis von Sprechen und Denken allgemein wird<br />

der strikte ontologische Dualismus zwischen geistigem und physischem Bereich<br />

aufgehoben zugunsten der Annahme, daß es sich um zwei verschiedene Sprachspiele<br />

handle, deren Verwendung nicht miteinander verwechselt werden dürfe. Damit wird der<br />

Weg frei für die Darstellung einer Person, der mentale und physische Eigenschaften<br />

prädiziert werden können. Aufgrund ihres Eigenleibes ist sie nicht nur in der Welt,<br />

sondern kann ihren Gedanken, Äußerungen und Handlungen eine Jemeinigkeit<br />

zuschreiben, die eine Selbstbezeichnung ermöglichen. Ricœur nennt dies Verankerung<br />

in der Welt (s.o.) "Als Körper unter Körpern bildet er ein Fragment der Welterfahrung; als<br />

der meinige hat er Anteil an dem Status des als Grenzpunkt der Welt verstandenen "Ich"<br />

[...]." 12<br />

Der Zusammenhang zwischen Denken und Sprechen hat Auswirkungen auf den<br />

ontologischen Status mentaler Ereignisse. Da ihre Bedeutung nicht sprachunabhängig<br />

ist, können sie selbst nicht im Sinne einer privaten Bedeutungskonstitution privat sein.<br />

Kriterien für die Identifizierung gleicher mentaler Ereignisse müssen daher im<br />

intersubjektiven Bereich, in der Sprache gesucht werden.<br />

Das Thema des Sprachgebrauchs verweist seinerseits auf die Erzählung. Die<br />

narrative Identität einer Figur ist sprachlich vermittelt. Sie ist in eine Erzählung<br />

eingebunden, die gelesen werden und vom Leser auf das wirkliche Leben übertragen<br />

werden kann. Dadurch entgeht diese Identitätsauffassung dem Fehler, den ein falsch<br />

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