09.10.2013 Views

Witti-Buch2 2001.qxd - Austrian Ludwig Wittgenstein Society

Witti-Buch2 2001.qxd - Austrian Ludwig Wittgenstein Society

Witti-Buch2 2001.qxd - Austrian Ludwig Wittgenstein Society

SHOW MORE
SHOW LESS

You also want an ePaper? Increase the reach of your titles

YUMPU automatically turns print PDFs into web optimized ePapers that Google loves.

War <strong>Wittgenstein</strong> Hitlers "Jude aus Linz"...?<br />

Auf Grund solcher Falschinterpretation meint Cornish, auf diesem Photo den jungen<br />

<strong>Wittgenstein</strong> entdeckt zu haben: "Hitler ist außen, rechts oben; <strong>Wittgenstein</strong> in der<br />

zweiten Reihe von oben, dritter von rechts" (Cornish 1998, S. 23), und er lässt das<br />

Gesicht des angeblichen "<strong>Wittgenstein</strong>" von der australischen Polizei mit irgendeinem<br />

dubiosen Verfahren so lange bearbeiten, "altern", bis das erwünschte Ergebnis<br />

herauskommt. Zumindest die deutsche Ausgabe hat einen Schutz-umschlag mit dem<br />

nunmehr "berühmten" Klassenphoto, auf dem Hitler und der angebliche "<strong>Wittgenstein</strong>"<br />

durch heiligenscheinartige helle Kreise hervorgehoben werden.<br />

Cornish ist sich seiner Deutung so sicher, dass er sich sogar zu der absurden<br />

Behauptung versteigt, wenn man auf dem bekannten Photo der in München 1914 über<br />

den Kriegsausbruch jubelnden Menge Hitler gefunden habe, so müsse mit "noch<br />

größerer Sicherheit" (ebd. S. 12) <strong>Wittgenstein</strong> auf diesem "Schulphoto" (ebd. S. 23) zu<br />

sehen sein. Gegen diese triumphalistischen Behauptungen müssen die Tatsachen<br />

gehalten werden: Das Photo stammt aus dem Schuljahr 1900/01 und zeigt Hitler mit den<br />

Schülern der 1.b-Realschulklasse. <strong>Wittgenstein</strong> trat aber erst im Herbst 1903 in diese<br />

Schule ein, fast drei Jahre nachdem dieses Photo entstanden ist. Im Gegensatz zur<br />

Ansicht von Cornish ist dieses Photo also absolut nicht geeignet, ein besonderes<br />

Naheverhältnis zwischen <strong>Wittgenstein</strong> und Hitler zu beweisen.<br />

Nach dieser willkürlichen Bildinterpretation ist Cornish nicht mehr zu halten: Er will<br />

entdeckt haben, dass Hitler <strong>Wittgenstein</strong> in Mein Kampf erwähnt hat: Er habe in der<br />

Realschule "einen jüdischen Knaben" kennen gelernt, der "von uns allen mit Vorsicht<br />

behandelt wurde, ... weil wir ihm in Bezug auf seine Schweigsamkeit ... nicht sonderlich<br />

vertrauten" (Hitler 1935, S. 55). Dies verbindet Cornish mit der Aussage eines<br />

Klassenkollegen von Hitler, dieser habe einen Mitschüler, der gar nicht wusste, dass er<br />

aus einer Konvertitenfamilie stamme, mit "du Saujud!" angefahren (Jetzinger 1956, S.<br />

109). Die Familie <strong>Wittgenstein</strong> war sich aber ihres Konvertitenstatus durchaus bewusst.<br />

Cornish macht aus diesen beiden Äußerungen einen Vorfall, den er als Streit<br />

zwischen Hitler und <strong>Wittgenstein</strong> verstehen will. Später im Buch steigert Cornish dies zu<br />

einer Prügelei (S. 158).<br />

Cornish stellt nun allerhand statistische Spekulationen über den Anteil von<br />

mosaischen und konvertierten Juden in Linz an und kommt zur Ansicht, Hitler habe auf<br />

der Linzer Realschule nur einen Konvertiten jüdischer Herkunft beschimpfen können,<br />

nämlich <strong>Wittgenstein</strong>. Während <strong>Wittgenstein</strong> aber zwei Klassen über Hitler war, hatte<br />

dieser - was Cornish nicht weiß - einen unmittelbaren Klassenkameraden aus einer<br />

Konvertitenfamilie, die auch in der österreichischen Wirtschaft eine bemerkenswerte<br />

Rolle spielte. Ein Streit mit einem Klassenkollegen ist wahrscheinlicher als einer<br />

zwischen einem Drittklassler und einem Fünftklassler.<br />

81

Hooray! Your file is uploaded and ready to be published.

Saved successfully!

Ooh no, something went wrong!