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Witti-Buch2 2001.qxd - Austrian Ludwig Wittgenstein Society

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Ruth Spiertz<br />

vor einer zusammenfassenden Analyse dem dritten Problem zu: dem des<br />

Fremdbewußtseins.<br />

3. Die Problematik des Fremdbewußtseins<br />

Geht man von einem solipsistischen Bewußtsein aus, d.h. alles, was man erfassen<br />

kann, sind die eigenen Bewußtseinsinhalte, so wird ein Zugang zu einem fremden<br />

Bewußtsein absolut unmöglich. Die Unmöglichkeit, den Kreis des eigenen Bewußtseins<br />

zu verlassen, bedeutet gleichzeitig die Unmöglichkeit, fremdes Bewußtsein zu<br />

verstehen. Es ist allenfalls als Idee im eigenen Bewußtsein vorhanden, als das eigene<br />

alter ego.<br />

Diesen absolut solipsistischen Standpunkt hat schon Humboldt aufgebrochen. Wir<br />

haben bereits seinen Standpunkt bezüglich der konstitutiven Kraft der intersubjektiv<br />

vermittelten Sprache bei der Bildung von Gedanken dargestellt. Wesentlich ist hierbei,<br />

daß erst das Zurückstrahlen des Gedankens aus einer fremden Denkkraft den Vorgang<br />

der Objektivierung bei der Gedankenkonstitution vollendet. So kann sich nach Humboldt<br />

ein Ich nur in Auseinandersetzung mit einem Du herausbilden. 10<br />

<strong>Wittgenstein</strong>s Ausführungen lassen den Schluß zu, daß er ähnliche Ansichten wie<br />

Humboldt vertritt. Die Sprechweise, daß uns die Bewußtseinsvorgänge der anderen<br />

verborgen sind, gehört für <strong>Wittgenstein</strong> zum falsch gedeuteten Sprachspiel eines<br />

angeblichen Wissens um die eigenen Bewußtseinsinhalte. Descartes begründet diese<br />

Tradition, die von der Annahme absolut sicheren Wissens bezüglich der eigenen<br />

Bewußtseinszustände geprägt ist. Da man aber gemäß der Verwendung des Begriffs<br />

Wissen nicht sagen kann: Er weiß, was er denkt, ist auch folgende Redeweise nicht<br />

sinnvoll: Mir ist verborgen, was er denkt. "Ich kann wissen, was der Andere denkt, nicht<br />

was ich denke. Es ist richtig zu sagen ‘Ich weiß, was du denkst’, und falsch: ‘Ich weiß,<br />

was ich denke.’" (vgl. PU, S. 563ff.).<br />

Da die Sprache unser Bewußtseinsleben organisiert und diese intersubjektiv<br />

vermittelt ist, muß es auch in gewisser Weise unser Bewußtseinsleben sein. Damit wird<br />

ein rein privater Zugang zum eigenen Bewußtsein ausgeschlossen und die Möglichkeit<br />

einer intersubjektiven Erfahrung begründet.<br />

Für die Identitätsbildung einer Person bedeutet dies, daß sich ein Selbst nur in<br />

Auseinandersetzung mit dem Anderen herausbilden kann. Genau von diesem<br />

Standpunkt geht auch Ricœur aus. Er sieht in der Dialektik von Selbst und anderem ein<br />

wesentliches Element seiner Theorie der narrativen Identität (neben der Dialektik von<br />

Selbigkeit und Selbstheit). "Eine neue Dialektik von Selbem und Anderem wird durch<br />

diese Hermeneutik hervorgerufen, die auf vielfältige Art und Weise bezeugt, daß hier<br />

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