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Witti-Buch2 2001.qxd - Austrian Ludwig Wittgenstein Society

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<strong>Wittgenstein</strong>s Beichte<br />

Monika Seekircher<br />

Schon lange vor <strong>Wittgenstein</strong>s Beichte Ende 1936/Anfang 1937 zeichnet sich ein<br />

Spannungsverhältnis ab zwischen <strong>Wittgenstein</strong>s hohen Anforderungen an sich selbst<br />

und seiner in seinen Augen mangelnden Fähigkeit, diesen Anforderungen gerecht zu<br />

werden, was zu massiven Selbstvorwürfen und Selbstbeschuldigungen führt.<br />

Insbesondere in seinen Briefen an Paul Engelmann spricht er über seine "eigene<br />

Niederigkeit und Gemeinheit" (30.5.1920), daß er "moralisch vollkommen tot" sei<br />

(2.1.1921) bzw. "so dumm und so unanständig wie immer" (23.10.1921) etc. (Vgl.<br />

Seekircher, 2001) <strong>Wittgenstein</strong>s hohe Anforderungen an sich selbst kommen sehr<br />

prägnant in der Bezeichnung "James-Mensch" zum Ausdruck, die Hermine <strong>Wittgenstein</strong><br />

in drei Briefen an ihren Bruder <strong>Ludwig</strong> verwendet. So schreibt sie beispielsweise am<br />

16.4.1916 in Angst um ihren Bruder, der Fronteinsätze geradezu sucht, "es ist nach dem<br />

Krieg Zeit ein James-Mensch zu sein". Diese Bezeichnung geht zurück auf<br />

<strong>Wittgenstein</strong>s Lektüre von William James' Varieties of Religious Experience. Es wird<br />

damit wohl ein Typ von Mensch gemeint in Richtung "Ausnahmemenschen und<br />

Exzentriker", wie James jene, die religiöses Leben "exklusiv" führten, in der ersten<br />

Vorlesung nennt. (Vgl. James 1979, 18) Auch James Auffassung von der Heiligkeit (10.-<br />

13. Vorlesung; James 1979, 248-308) dürfte hinter dieser Vorstellung stehen. <strong>Ludwig</strong><br />

Hänsel erkennt auch diesen hohen ethischen Anspruch von <strong>Wittgenstein</strong> und stellt in<br />

seinem Brief vom 27.9.1920 nüchtern fest: "Es bleibt Dir - bei Deinen Qualitäten - ja<br />

doch nichts übrig, als ein Heiliger zu werden [...]." Auch <strong>Wittgenstein</strong> selbst ist sich<br />

seines hohen ethischen Anspruchs durchaus bewußt. Auf die Frage seiner Russisch-<br />

Lehrerin Fania Pascal "Wollen Sie etwa vollkommen sein?" antwortet <strong>Wittgenstein</strong>:<br />

"Natürlich will ich vollkommen sein." (Vgl. Pascal 1992, 67) Diese Äußerung steht bereits<br />

in Zusammenhang mit <strong>Wittgenstein</strong>s Beichte in den Jahren 1936/37.<br />

In <strong>Wittgenstein</strong>s Brief an seine Schwester Hermine <strong>Wittgenstein</strong>, datiert mit [Oktober<br />

1931] kommt erstmals der Gedanke an eine Beichte zum Ausdruck:<br />

Ich denke immer wieder an das, worüber wir einmal auf der Hochreit<br />

gesprochen haben (Beichte etc.), und ich muß froh sein, wenn ich schon ein<br />

Schwein bin, daß ich mich noch manchmal darüber beunruhigen kann. Wäre die<br />

Beunruhigung nicht so oberflächlich, so würde eine Besserung eintreten.<br />

<strong>Wittgenstein</strong> muß zu dieser Zeit bereits an eine umfangreichere Beichte gedacht<br />

haben, wie aus einer Tagebucheintragung vom 2.11.1931 hervorgeht:<br />

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