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Argumentieren und Erörtern im Fach Deutsch - Landesinstitut für ...

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<strong>Argumentieren</strong> <strong>und</strong> <strong>Erörtern</strong> <strong>im</strong> <strong>Fach</strong> <strong>Deutsch</strong> (Gymnasium)<br />

58<br />

M 7: Claudia N.: 3<br />

Seit meinem 17. Lebensjahr will ich ausziehen. Damals bestand mein Fre<strong>und</strong>eskreis<br />

aus Leuten, die in Wohngemeinschaften lebten. Mich faszinierte das<br />

uneingeschränkte Kommen <strong>und</strong> Gehen in den WGs. Bei viel Tee <strong>und</strong> selbstgedrehten<br />

Zigaretten wurde über Beziehungen <strong>und</strong> Politik diskutiert, <strong>und</strong> keiner<br />

war da, der sich durch zu viel Rauch in der Luft oder laute Musik gestört gefühlt<br />

hätte. Es wurden „Spontanfeten“ gefeiert, die manchmal auch die ganze Nacht<br />

dauerten.<br />

Mittlerweile bin ich volljährig. Ich muss zu keiner best<strong>im</strong>mten Zeit mehr<br />

zu Hause sein <strong>und</strong> kann Fre<strong>und</strong>e mitbringen, sooft ich Lust habe. Wie viel ich<br />

lerne, bleibt mir selbst überlassen. Ich erfülle gewisse Pflichten <strong>für</strong> die Familie,<br />

zum Beispiel ab <strong>und</strong> zu die Küche aufräumen, auf meine kleine Schwester<br />

aufpassen, mit dem H<strong>und</strong> spazieren gehen, <strong>und</strong> fühle mich dadurch best<strong>im</strong>mt<br />

nicht überanstrengt. Trotzdem strengt mich meine Familie an, denn ich habe<br />

kein Bedürfnis mehr nach Familienleben.<br />

Mein Wunschtraum wäre heute eine kleine Wohnung <strong>für</strong> mich zu haben. Allerdings<br />

würde ich aus finanziellen Gründen wohl doch mit einer, allerhöchstens<br />

zwei Personen zusammenziehen. In eine größere Wohngemeinschaft<br />

möchte ich nicht, da ich festgestellt habe, dass dort häufig familienähnliche<br />

Zustände <strong>und</strong> Probleme auftreten. Ich habe einen Fre<strong>und</strong>, mit dem ich gerne<br />

zusammenwohnen möchte …<br />

M 8: Ursula N.: 4<br />

Ich war verletzt, als Claudia uns vor zwei Jahren sagte, sie wolle in eine Wohngemeinschaft<br />

ziehen. Denn das hieß <strong>für</strong> mich: Bis jetzt habe ich euch ertragen,<br />

nun reicht`s mir. Tschüß.<br />

Wohngemeinschaften sind eine gute Einrichtung <strong>für</strong> selbstständige, fertige<br />

Menschen. Claudia selbst hat uns von den Schwierigkeiten erzählt, die Mitschüler<br />

in Wohngemeinschaften hatten. Zwei traten nicht mehr zum Abitur an,<br />

einer begann zu trinken, zwei andere sind wieder mehr oder weniger reumütig<br />

he<strong>im</strong>gekehrt.<br />

Unabhängig leben wollen heißt noch lange nicht, es auch zu können. Teetrinken,<br />

Joints rauchen, diskutieren <strong>und</strong> vom Lustprinzip träumen, ist sicher ganz<br />

schön. Aber in diesen Wohngemeinschaften treffen erfahrungsgemäß junge<br />

Leute zusammen, von denen jeder Einzelne noch viele Entwicklungsschwierigkeiten<br />

hat, die auch das W<strong>und</strong>erding „Gruppe“ nicht lösen kann.<br />

Es mag reaktionär klingen, aber ich stehe dazu: Einen Familienverband kann<br />

man erst dann kündigen, wenn man ohne ihn auskommt. Wir Eltern sagen<br />

auch nicht: Jetzt reicht`s uns, obwohl uns manchmal danach ist. Es ist nicht<br />

<strong>im</strong>mer angenehm, eine Tochter zu haben, die hauptsächlich aus Frust besteht:<br />

Schulfrust, politischer Frust, Familienfrust …, ein kurzes Hallo, <strong>und</strong> sie entschwindet<br />

in ihr Z<strong>im</strong>mer wie ein zahlender Gast <strong>im</strong> Hotel …<br />

3 Aus der Zeitschrift „Brigitte“ Nr. 17 (1980), S. 80 ff.<br />

4 ebenda

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