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den Stab über euch brechen mag wer da will, ich nicht - Hermann W ...

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und die Zunge ein samtener warmwe<strong>ich</strong>er Lappen, der <strong>da</strong> sacht kreiste, s<strong>ich</strong> krümmte, s<strong>ich</strong><br />

streckte, <strong>den</strong> Gaumen mir schleckte, meine Zunge umleckte... und mir versackte die Angst,<br />

die mir eine kratzig trockene Kehle beschert. Taumelig ward mir, dumpf mir der Kopf; der<br />

rutschte dem Mann aus <strong>den</strong> Hän<strong>den</strong>... „N<strong>ich</strong>t umfallen!“ hört’ <strong>ich</strong>, gegriffen, gepackt, „du<br />

wirst mir doch jetzt n<strong>ich</strong>t umfallen –“<br />

Der Mann riss m<strong>ich</strong> hoch, schon lag <strong>ich</strong> ihm auf <strong>den</strong> Armen. – „Mein Gott, bist du<br />

le<strong>ich</strong>t!“ hört’ <strong>ich</strong> ihn japsen, und <strong>ich</strong> selbst fühlt’ m<strong>ich</strong> bleisch<strong>wer</strong>.<br />

Mir am Kopf vorbei sprang die Tür des Fahrzeugs auf; Oswald bugsierte m<strong>ich</strong> der Länge<br />

nach rücklings auf die Sitze des Wagens, winkelte mir die Beine an, ächzte: „Kipp mir n<strong>ich</strong>t<br />

runter, <strong>ich</strong> bin gle<strong>ich</strong> wieder <strong>da</strong>!“, und die Tür mir zu Füßen schlug zu. Worauf <strong>ich</strong> es draußen<br />

trampeln hörte, und aufgerissen wurde die Tür, zu der hin mein Kopf lagerte. Oswald hob mir<br />

sacht <strong>den</strong> Oberkörper an und zwängte s<strong>ich</strong> auf <strong>den</strong> Fahrersitz; mein Kopf, mein Nacken lagen<br />

sogle<strong>ich</strong> dem Mann auf dem Schoß. – „Geht’s so, liegt du bequem?“<br />

„Ja, so is’ schön.“<br />

Oswald atmete hörbar tief durch, zog die Tür ran und sagte: „Dann <strong>wer</strong>d’ <strong>ich</strong> d<strong>ich</strong> jetzt<br />

nach Hause fahr’n. Deine Eltern warten bestimmt schon auf d<strong>ich</strong>.“<br />

Nein, <strong>da</strong> wartete niemand, und <strong>da</strong>s sagte <strong>ich</strong> auch. Gab Oswald kund, <strong>da</strong>ss <strong>ich</strong> nur noch<br />

’ne Mutter hätte, und die wäre für drei Tage in Berlin; <strong>da</strong> hätt’ sie ’nen Lehrgang. „Wenn du<br />

<strong>will</strong>st, kannst’ bei mir schlafen.“<br />

„Wär’ schön, geht aber n<strong>ich</strong>t. Ich muss zurück ins Objekt. Auch wenn’s heut’ n<strong>ich</strong>t so<br />

drauf ankommt. Sind eh alle besoffen. Aber spätestens um fünf muss <strong>ich</strong> trotzdem <strong>da</strong> sein.“<br />

„Und wie spät ist es jetzt?“<br />

Wenn <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> recht erinnere, sagte Oswald, es wäre zehn nach halb zwei. Je<strong>den</strong>falls war<br />

es bis fünf noch eine gute Weile hin, und von Xge nach P. fuhr man mit dem Auto knapp<br />

zwanzig Minuten. Wenn er also bei mir bliebe, so folgerte <strong>ich</strong>, dem allmähl<strong>ich</strong> die Lebensgeister<br />

wieder zuflossen, wenn er also bei mir schlafen würde, <strong>da</strong>nn hätte er doch Zeit so bis<br />

Viertel, halb fünf. Das wäre doch n<strong>ich</strong>t wenig, <strong>den</strong>n wenn er jetzt losführe, wären wir doch<br />

spätestens in ’ner Viertelstunde in Xge.<br />

„Hast’ <strong>den</strong>n keine Angst mehr vor mir?“, fragte Ostwald.<br />

„Nein“, sagte <strong>ich</strong> leise, der <strong>ich</strong> <strong>da</strong> lag, Kopf auf des Mannes Schoß, und <strong>ich</strong> drehte m<strong>ich</strong><br />

auf die Seite, Ges<strong>ich</strong>t hin zum Hosenschlitz, an dem <strong>ich</strong> zuvor mit der Wange geruht und an<br />

dessen Knöpfen <strong>ich</strong> jetzt zu nesteln begann. – Und Oswald fuhr an, lenkte <strong>den</strong> Jeep vom<br />

Sommerweg, gab Gas, brauste los. Und keine hundert Meter gefahren, hatte <strong>ich</strong> aus dem<br />

Schlitz gefummelt, worauf <strong>ich</strong> es abgesehen hatte und <strong>da</strong>s weder schlaff, noch steif war.<br />

„D<strong>ich</strong> jetzt n<strong>ich</strong>t wundern, ja“, sagte Oswald, „<strong>ich</strong> hab’ keine Vorhaut. Die haben sie mir<br />

als Baby weggeschnitten. ’34 in Amster<strong>da</strong>m. Da wo <strong>ich</strong> zur Welt gekommen bin. Von Mutters<br />

Seite aus bin <strong>ich</strong> ’n Jude. Mein Vater war keiner. Aber <strong>da</strong>s hat ihm n<strong>ich</strong>ts genützt, musst’<br />

trotzdem dran glauben. Mein Vater war einer, der n<strong>ich</strong>t von der Wahrheit lassen wollte, und<br />

von meiner Mutter wollt’ er auch n<strong>ich</strong>t lassen. – Du, jetzt setz d<strong>ich</strong> mal lieber hin. Wir sind<br />

gle<strong>ich</strong> in der Stadt. Und <strong>ich</strong> lauf dir ja n<strong>ich</strong>t weg. Zwei Stun<strong>den</strong> haben wir mindestens. Und<br />

wenn’s dir mit mir gefallen sollte, <strong>da</strong>nn haben wir noch viel, viel mehr Zeit. Das versprech’<br />

<strong>ich</strong> dir.“<br />

M<strong>ich</strong> aufgesetzt, musterte <strong>ich</strong> <strong>den</strong> Mann, der neben mir saß. – Einen Ju<strong>den</strong> hatte <strong>ich</strong> mir<br />

immer ganz anders vorgestellt. Je<strong>den</strong>falls auffälliger. So einen sah man, und <strong>da</strong>nn war einem<br />

klar, <strong>da</strong>s war ein Jude. Aber Oswald, von dem <strong>ich</strong> bald wusste, <strong>da</strong>ss er mit Familiennamen<br />

Kröner hieß – na ja, an dem war vielle<strong>ich</strong>t auch was Auffälliges, aber eher, <strong>da</strong>ss er etwa so<br />

aussah, wie im Gesch<strong>ich</strong>tsbuch der siebenten oder achten Klasse eine Ze<strong>ich</strong>nung ausgesehen<br />

hatte, die Störtebeker <strong>da</strong>rzustellen vorgab.<br />

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