01.11.2013 Aufrufe

den Stab über euch brechen mag wer da will, ich nicht - Hermann W ...

den Stab über euch brechen mag wer da will, ich nicht - Hermann W ...

den Stab über euch brechen mag wer da will, ich nicht - Hermann W ...

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Erfolgreiche ePaper selbst erstellen

Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.

unter machte, und war der Orgasmus veratmet, durfte er gehen. Nur Hans musste bleiben,<br />

solange er bleiben konnte, sonst hätt’ er gefehlt. Beim Einschlafen, beim Aufwachen. Und<br />

beim nächsten Einschlafen, wenn es zwischendurch wieder mächtig gerummelt hatte; Hans<br />

gierig wie sonstwas. – „Her mit <strong>euch</strong>. Na los, kommt her... Mensch, macht ihr m<strong>ich</strong> geil. Wieso<br />

krieg’ <strong>ich</strong> <strong>den</strong>n nie genug von <strong>euch</strong>? Warum flaut <strong>den</strong>n <strong>da</strong>s n<strong>ich</strong>t ab mit der Zeit?“<br />

Weil es eben n<strong>ich</strong>t abflaute. – Bis 1968 n<strong>ich</strong>t. Bis Oswald und <strong>ich</strong>, wir beide im August<br />

’68 in Prag, die Prager Wirren, <strong>den</strong> Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts nutzten und<br />

uns in der westdeutschen Botschaft als Bürger der Bundesrepublik ausgaben, <strong>den</strong>en die Pässe<br />

abhan<strong>den</strong> gekommen waren. Ich bin s<strong>ich</strong>er, <strong>da</strong>ss man uns n<strong>ich</strong>t glaubte, aber man stellte uns<br />

anstandslos provisorische Papiere aus, und <strong>da</strong>nn brachte man uns mit anderen Leutchen, die<br />

tatsächl<strong>ich</strong> aus Westdeutschland stammten und in all dem Tohuwabohu ihre Botschaft um<br />

Hilfe angegangen waren, per Bus außer Landes. Nach Wien. Und einen Tage später landeten<br />

wir in München; dem lieben Hans aus jedweder Re<strong>ich</strong>weite. Was Hans nach allem, was mir<br />

inzwischen widerfahren war, verstand. Ich hatte in Xge nach dem 13.August 1961 mit billiger<br />

Tafelkreide, wie man sie in der Schule benutzt, Sätze des Protestes gegen <strong>den</strong> MAUERbau an<br />

die Wände vieler Hausflure gekritzelt. War entdeckt, <strong>den</strong>unziert und für ein Jahr eingelocht<br />

wor<strong>den</strong> und hatte <strong>da</strong>nach in der DDR nie wieder Fuß gefasst, je<strong>den</strong>falls keinen mir gemäßen.<br />

Das gelang mir erst im Westen, in München, als <strong>ich</strong> in der Otto-Falckenberg-Schule unterkam.<br />

Endl<strong>ich</strong>, endl<strong>ich</strong> wurde <strong>ich</strong> doch noch Schauspieler, was man mir in der DDR verwehrt<br />

hatte; ein Staatsfeind, obwohl seine Strafe verbüßt, war letztl<strong>ich</strong> ein Staatsfeind geblieben,<br />

einer Ausbildung zum Mimen n<strong>ich</strong>t würdig. Ich war bei der Kirche untergekrochen, und die<br />

hatte aus mir einen Diakon gemacht. Aber ein solcher wollt’ <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t bleiben, und in München<br />

gelandet, durfte <strong>ich</strong> die Diakonie beiseite lassen und m<strong>ich</strong> endl<strong>ich</strong> dem Theater „verschreiben“.<br />

Meine erste Rolle war übrigens tatsächl<strong>ich</strong> der Wurm in „Kabale und Liebe“. Heutzutage<br />

bin <strong>ich</strong> in selbigem Stück der alte Miller, und der Kollege, der <strong>den</strong> Wurm spielt, ist ein Schüler<br />

von mir. Und in zwei Monaten drehe <strong>ich</strong> meinen soundsovielten Film, Arbeitstitel:<br />

„WARUM GRÜNEN DIE BÄUME NICHT BLAU?“ Da bin <strong>ich</strong> ein Großvater, der für alle<br />

Eskapa<strong>den</strong> seines schwulen(!) Enkels Verständnis hat. – Na ja, passt doch zu mir, der <strong>ich</strong><br />

zwar weder Enkel noch Kinder habe, aber bin, wie <strong>ich</strong> bin. Und war, wie <strong>ich</strong> war: Als Beispiel<br />

n<strong>ich</strong>t beispielhaft. Aber m<strong>ich</strong> gab’s und m<strong>ich</strong> gibt’s, und <strong>da</strong>s gilt’s hinzunehmen, auch<br />

wenn niemand gutheißen muss, was <strong>ich</strong> als Kind und in früher Jugend an m<strong>ich</strong> zog, auf m<strong>ich</strong><br />

nahm, und niemand muss die Männer verstehen, die m<strong>ich</strong> Knaben an s<strong>ich</strong> rissen. Lang, lang<br />

ist’s her, bin schon ewig kein ‚Rufi‘ mehr (außer für Oswald, für Norbert). Und die meisten,<br />

für die <strong>ich</strong> ein solcher einst war, sind wohl längst tot. – Hört mal allesamt zu, auf welcher<br />

himmlischen oder höllischen Wolke ihr auch segelt: So heftig es m<strong>ich</strong> mitunter auch schmerzte,<br />

so sehr es m<strong>ich</strong> bisweilen schier zerriss, <strong>den</strong> <strong>Stab</strong> <strong>über</strong> <strong>euch</strong> <strong>brechen</strong> <strong>mag</strong> <strong>wer</strong> <strong>da</strong> <strong>will</strong>, <strong>ich</strong><br />

n<strong>ich</strong>t.<br />

So, <strong>da</strong>s war’s. Morgen kommt Oswald heim. Nach Konzerten in Amster<strong>da</strong>m, Den Haag,<br />

Hilversum, Utrecht, Arnheim, Enschede. Müde wird er sein; 72 Jahre sind kein Pappenstil.<br />

Schon mögl<strong>ich</strong>, <strong>da</strong>ss er wieder sagt, wenn wir beieinander liegen: „Rufi, weißt du, <strong>da</strong>ss du<br />

von uns bei<strong>den</strong> als Letzter gehst?“ – Kann sein, muss n<strong>ich</strong>t sein. Aber wenn es so kommen<br />

sollte, <strong>da</strong>nn sterben wir letztl<strong>ich</strong> trotzdem gemeinsam; <strong>den</strong>n wie heißt’s bei <strong>den</strong> Ju<strong>den</strong>: Man<br />

ist erst gestorben, wenn keiner mehr an einen <strong>den</strong>kt.<br />

* * *<br />

Eine Erzählung<br />

126

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!