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den Stab über euch brechen mag wer da will, ich nicht - Hermann W ...

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Wenn ihm <strong>da</strong>nach war, konnte er nachmittags auf dem Ku’<strong>da</strong>mm Kaffeetrinken gehen. Und<br />

durch Gastauftritte in Wien, Paris, Mailand hatte er auch ein Konto bei der Dresdner Bank.<br />

N<strong>ich</strong>t, <strong>da</strong>ss Jogi <strong>da</strong>mit geprotzt hätte, aber er war halt derart privilegiert. Und wenn wir nebeneinander<br />

hergingen, sah man schon, <strong>da</strong>ss <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> im Konsum oder in der HO einkleidete<br />

und der hochgewachsene Mann mir zur Seite seine Klamotten jenseits der MAUER erworben<br />

hatte. – Aber <strong>da</strong>s nur am Rande. Bis zu diesen Zeiten sollt’ noch eine Menge passieren. Und<br />

Ende August ’61 gab es für m<strong>ich</strong> erst einmal <strong>den</strong> alles entschei<strong>den</strong><strong>den</strong> Einschnitt, was mein<br />

Leben in der DDR betraf; <strong>ich</strong> wurde staatsfeindl<strong>ich</strong>er Hetze wegen verhaftet. Aus war’s mit<br />

der Künstlerkarriere, die man mir allerorten vorausgesagt hatte. Was mit Ibsens Klein Eyold<br />

in ***chim begann, <strong>ich</strong> zur Premiere noch n<strong>ich</strong>t ganz dreizehn, und ein Kritiker schrieb <strong>über</strong><br />

m<strong>ich</strong>: „Von der Begabung, die schon jetzt je<strong>den</strong> Satz l<strong>euch</strong>ten macht, wird man noch hören.“<br />

Und als <strong>ich</strong> im ***<strong>da</strong>ler Theater <strong>Hermann</strong> Hesses Hans Giebenrath war, schrieb jemand:<br />

„...man glaubt es n<strong>ich</strong>t, <strong>da</strong>ss dieser Junge, der im Programmheft als ‚Rurú‘ ausgewiesen wird,<br />

noch keine Stunde Schauspielunterr<strong>ich</strong>t hatte. Wo nimmt er die Kraft her, <strong>da</strong>s Publikum von<br />

der ersten bis zur letzten Minute derart zu fesseln? Er zwang uns alle, mit ihm mit zu atmen.<br />

Niemand im Parkett konnte s<strong>ich</strong> dem entziehen und teilnahmslos bleiben. Von dem fünfzehnjährigen<br />

Jungen ging etwas Magisches aus[...] Fazit: Langanhaltender, frenetischer Beifall,<br />

einhelliger Jubel im Haus. Bravo, Rurú!“<br />

Tja, was half mir <strong>da</strong>s und noch manches andere, als m<strong>ich</strong> schließl<strong>ich</strong> die Stasi griff?<br />

N<strong>ich</strong>ts half mir <strong>da</strong>s. Und Waldemar, zu dieser Zeit am Theater in Cottbus, wurde nach und<br />

nach zum Trinker; ist gerade mal 41 Jahre alt gewor<strong>den</strong>. Als <strong>ich</strong> ihn kennenlernte, war er 33,<br />

und <strong>da</strong> <strong>wer</strong>d’ <strong>ich</strong> jetzt erst einmal weitermachen.<br />

9<br />

Zurück aus Wernigerode, blieben mir bis Ende August nur die Männer aus Xge und Umgebung.<br />

Aber was heißt ‚nur‘? Es waren der Männer genug, <strong>ich</strong> musste m<strong>ich</strong> ihnen nur präsentieren,<br />

was <strong>ich</strong> auch tat. Ich signalisierte ihnen, <strong>da</strong>ss <strong>ich</strong> wieder im Lande wäre. Und <strong>ich</strong><br />

linste nach neuen Männern, auch <strong>da</strong>s. Siehe oben: Fleischermeister Jühl<strong>ich</strong>en, dem <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong><br />

allerdings kein zweites Mal auslieferte. Aber <strong>den</strong> Hang nach neuen Männern nahm er mir<br />

n<strong>ich</strong>t. Feil bot <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> zum Beispiel dem Wärter der Toilette am Neuen Friedhof. Hatte dies<br />

Häuschen bisher eine alte Frau gewartet, so entdeckte <strong>ich</strong> eines Tages, <strong>da</strong>ss dort jetzt ein<br />

Mann tätig war. N<strong>ich</strong>t alt, Mitte vierzig vielle<strong>ich</strong>t; <strong>ich</strong> kannte ihn vom Sehen, wusste, <strong>da</strong>ss er<br />

auffällig hinkte und mal Pförtner bei der Säurefabrik KUTTNER & KUTTNER gewesen war;<br />

aber die lag brach und verfiel, seit die Familie Kuttner mit Kind und Kegel Xge und der DDR<br />

<strong>den</strong> Rücken gekehrt hatte. Und nun also war der ehemalige Pförtner zum Toilettenwärter abgestiegen<br />

und saß vor dem Örtchen auf einem Höckerchen und grinste m<strong>ich</strong> an, als <strong>ich</strong> mit<br />

Gießkanne und Harke vorbeikam; <strong>ich</strong> war mal wieder ausgeschickt wor<strong>den</strong>, am Grab von<br />

Omas Schwester nach dem Rechten zu schauen. Was <strong>ich</strong> auch tat, aber n<strong>ich</strong>t allzu gründl<strong>ich</strong>,<br />

<strong>den</strong>n <strong>da</strong>s Grinsen des Toilettenmannes ging mir n<strong>ich</strong>t aus dem Kopf und <strong>ich</strong> wollte so schnell<br />

wie mögl<strong>ich</strong> wiederum an der Bude vorbeikommen; vielle<strong>ich</strong>t saß der immer noch <strong>da</strong> und<br />

vielle<strong>ich</strong>t grinste er m<strong>ich</strong> neuerl<strong>ich</strong> an, sprach m<strong>ich</strong> womögl<strong>ich</strong> auch an, und <strong>da</strong>s wäre ein<br />

Grund gewesen, stehen zu bleiben. Doch <strong>den</strong> bot mir der Mann n<strong>ich</strong>t, der zwar tatsächl<strong>ich</strong><br />

noch <strong>da</strong>saß, m<strong>ich</strong> auch hübsch angrinste und <strong>ich</strong> grinste zurück, aber an sprach er m<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t.<br />

Ob’s <strong>da</strong>ran lag, <strong>da</strong>ss gerade ein anderer Junge auf die Bude zulief? Als <strong>ich</strong> an ihr vorbei war,<br />

m<strong>ich</strong>, ein paar Meter gegangen, umschaute, stand <strong>da</strong>s Höckerchen verwaist vor der Tür, und<br />

die Tür, zuvor weit aufgestan<strong>den</strong>, war zu. Was m<strong>ich</strong> stutzig machte, und noch stutziger machte<br />

m<strong>ich</strong>, als <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> nochmals drehte, <strong>da</strong>ss ein Mann auf die Toilette zuging, aber an der Tür<br />

wieder kehrt machte, als hätte er sie verschlossen gefun<strong>den</strong>. – Komisch. War <strong>den</strong>n der Junge<br />

schon wieder draußen? – Und <strong>ich</strong> machte noch ein paar Schritte, kam mächtig ins Grübeln,<br />

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