den Stab über euch brechen mag wer da will, ich nicht - Hermann W ...
den Stab über euch brechen mag wer da will, ich nicht - Hermann W ...
den Stab über euch brechen mag wer da will, ich nicht - Hermann W ...
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
„Aber n<strong>ich</strong>t wieder ohne was“, bat <strong>ich</strong> klägl<strong>ich</strong>en Tons, „vielle<strong>ich</strong>t geht ja auch Mückenst<strong>ich</strong>salbe.“<br />
„Wo hast’n die?“<br />
„Da drüben in der Kommode. Im untersten Fach.“<br />
Na ja, weh tat’s mir trotzdem, aber wann tat’s mir <strong>den</strong>n n<strong>ich</strong>t weh? Und wenn <strong>ich</strong> zunächst<br />
die Zähnchen zusammenbiss, und <strong>ich</strong> war re<strong>ich</strong>l<strong>ich</strong> geschmiert, war mir <strong>da</strong>s Scheuern,<br />
<strong>da</strong>s Wetzen, <strong>da</strong>s Schaben schließl<strong>ich</strong> <strong>den</strong>n doch einigermaßen erträgl<strong>ich</strong>, so lange so ein<br />
Mann n<strong>ich</strong>t vor der Zeit immer mal wieder rausrutschte, s<strong>ich</strong> neuerl<strong>ich</strong> ansetzte, eindrang.<br />
Und <strong>über</strong> die Maßen an<strong>da</strong>uern durfte so ein Gestoße auch n<strong>ich</strong>t. Aber <strong>ich</strong> hatte bei Axel Hübner<br />
jetzt Glück; der rutschte n<strong>ich</strong>t raus und der brauchte auch n<strong>ich</strong>t irrsinnig lange. Ich fand<br />
sogar, beim zweiten Mal war es ihm viel schneller gekommen als beim ersten Gerammel. Mit<br />
diesem Gefühl lehnte <strong>ich</strong> je<strong>den</strong>falls irgendwann platt am Schrank, und mir am Rücken lehnte<br />
k<strong>euch</strong>ende Atems der s<strong>ich</strong> „abgefackelte Keiler“. Axels Ausdruck. Den <strong>ich</strong> noch viele Male<br />
hörte; <strong>da</strong>s letzte Mal, <strong>da</strong> war <strong>ich</strong> schon sechzehn, oder so kurz <strong>da</strong>vor, je<strong>den</strong>falls blieb mir der<br />
Mann bis 1959, <strong>da</strong> musste er s<strong>ich</strong> einer Operation unterziehen. Diagnose: Ho<strong>den</strong>krebs. Der<br />
hat <strong>den</strong> Mann n<strong>ich</strong>t umgebracht, zumindest n<strong>ich</strong>t so bald, aber s<strong>ich</strong> mit mir treffen wollt’ er<br />
n<strong>ich</strong>t mehr. Das Kapitel wär’ für ihn abgeschlossen, hat er gemeint. Was n<strong>ich</strong>t hieße, <strong>da</strong>ss er<br />
m<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t mehr mögen würde, aber mir genügen könnt’ er n<strong>ich</strong>t mehr, und <strong>da</strong> wäre es schon<br />
besser, wir wür<strong>den</strong> uns n<strong>ich</strong>t mehr sehen. – Doch zurück zur Chronologie.<br />
7<br />
Im Winter ’55/56 gab’s also Harald, gab’s Heinr<strong>ich</strong> Schürmann, gab’s nun auch <strong>den</strong><br />
Axel. Man möchte meinen, für einen Zwölfjährigen, und mochte der noch so mannstoll sein,<br />
war’s mehr als genug der sexuellen Ansprache. Aber dem war n<strong>ich</strong>t so. Wo <strong>ich</strong> ging und<br />
stand, hielt <strong>ich</strong> die Augen offen. Schier zwanghaft oder als wär’s ein Reflex. Stieß <strong>ich</strong> auf<br />
einen Mann, brannten mir alle S<strong>ich</strong>erungen durch; <strong>ich</strong> flog sozusagen auf ihn zu, <strong>ich</strong> war ihm<br />
verfallen: <strong>ich</strong> wollte, er sollte – spürte er’s n<strong>ich</strong>t? Doch, doch, mitunter spürte er’s schon, beispielsweise<br />
der Schausteller auf dem Weihnachtsmarkt. Betreiber einer Lotteriebude. So um<br />
die Vierzig der Mann, für <strong>den</strong> <strong>ich</strong> eines Vormittags sogar die Schule geschwänzt habe. Bin<br />
morgens um acht in seinen Wohnwagen gestiegen und <strong>da</strong>selbst auf sein verlottertes Lager; die<br />
Matratze bucklig und die Bettwäsche so fleckig, als wäre sie noch nie gewaschen wor<strong>den</strong>.<br />
Aber <strong>da</strong>rauf gab <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>ts, und der Mann, langes Elend, spindeldürr, war hübsch zärtl<strong>ich</strong>, und<br />
<strong>da</strong>ss er m<strong>ich</strong> ficken wollte, <strong>da</strong>von war keine Rede. Ihm ledigl<strong>ich</strong> einen abkauen, und an mir<br />
hat er Gle<strong>ich</strong>es vollbracht. Wollt’ auch, <strong>da</strong>ss <strong>ich</strong> die Schule öfter sausen lasse, aber <strong>da</strong>s war<br />
n<strong>ich</strong>t zu be<strong>wer</strong>kstelligen; nochmals hätte meine Mutter n<strong>ich</strong>t geglaubt, <strong>da</strong>ss <strong>ich</strong> morgens<br />
schlimme Bauchschmerzen gekriegt hätte, kaum <strong>da</strong>ss sie aus dem Haus war; zur Schule zu<br />
gehen wäre <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t fähig gewesen. – Solches ging wirkl<strong>ich</strong> nur einmal. Mutter ein X für ein<br />
U vorzumachen war n<strong>ich</strong>t ganz einfach. Je<strong>den</strong>falls war es n<strong>ich</strong>t alle naselang mögl<strong>ich</strong>. Solches<br />
wollte sorgsam dosiert sein. Also blieb es bei dem einen Mal, <strong>da</strong>ss <strong>den</strong> Glückl<strong>ich</strong>en keine<br />
Stunde schlug, was m<strong>ich</strong> und <strong>den</strong> Mann von der Lotteriebude betraf, <strong>den</strong>n nachmittags, wo<br />
es mir n<strong>ich</strong>t drauf angekommen wäre, hatte der Mann keine Zeit, ab 14 Uhr war <strong>da</strong>s Marktgeschehen<br />
im Gange. Also ging es nur am Vormittag, aber vormittags hatte <strong>ich</strong> bis drei oder vier<br />
Tage vor Weihnachten Schule. Kam allerdings vor, <strong>da</strong>ss wir, ein Lehrer krank gewor<strong>den</strong>, erst<br />
zur dritten Stunde zu erscheinen hatten oder nach der vierten wieder abrücken durften. Na<br />
<strong>da</strong>nn die freie Zeit morgens von acht bis kurz vor halb zehn oder mittags von kurz nach halb<br />
zwölf bis gegen halb zwei aber genutzt, nix wie hin zum Weihnachtsmarktdomizil auf dem<br />
Rathausplatz. Bis <strong>ich</strong> dort eines Mittags mal ungelegen kam. Je<strong>den</strong>falls schl<strong>ich</strong> <strong>da</strong> vor mir ein<br />
anderer Knirps an <strong>den</strong> noch geschlossenen Stän<strong>den</strong> und Bu<strong>den</strong> und Karussells entlang und hin<br />
zu dem Wohnwagen, auf <strong>den</strong> auch <strong>ich</strong> aus war. Tür auf, Tür zu, drin war er. – Und jetzt? Na<br />
64