den Stab über euch brechen mag wer da will, ich nicht - Hermann W ...
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„Na <strong>da</strong>nn kann er ja mit uns Abendbrot essen“, hatte meine Mutter gesagt und gemeint,<br />
sie könnte zum Beispiel einen Zwiebelkuchen backen.<br />
„Aber n<strong>ich</strong>t mit Speck, Mutti.“<br />
„Wieso n<strong>ich</strong>t mit Speck? Natürl<strong>ich</strong> hört <strong>da</strong> Speck rein –“<br />
„Ja, ja, aber Oswald ist Jude.“<br />
„Ach der ist Jude –“<br />
„Ja, ja, der ist Jude. Das nützt ihm zwar in der Kaserne n<strong>ich</strong>ts, <strong>da</strong> muss er essen, was<br />
auf’n Tisch kommt, <strong>da</strong>gegen kann er s<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t wehr’n, aber ansonsten isst er wenn mögl<strong>ich</strong><br />
kein Schweinefleisch.“<br />
„Ja, ja, <strong>da</strong>von hab’ <strong>ich</strong> schon gehört. Schweinefleisch, <strong>da</strong>s ist n<strong>ich</strong>ts für Ju<strong>den</strong>. Das soll<br />
was mit dem Glauben zu tun haben. Aber Zwiebelkuchen ohne Speck... na, <strong>ich</strong> weiß n<strong>ich</strong>t, ob<br />
<strong>da</strong>s so’ne gute Idee ist. Vielle<strong>ich</strong>t mach’ <strong>ich</strong> <strong>da</strong>nn lieber zum Mittag was Einfaches, nur fix<br />
’ne Suppe, und <strong>da</strong>für gibt es <strong>da</strong>nn abends was R<strong>ich</strong>tiges. Sagen wir Hammelbraten und grüne<br />
Klöße. Das ist zwar ’n bisschen zeitaufwendiger als der Zwiebelkuchen, aber schließl<strong>ich</strong> soll<br />
s<strong>ich</strong> der junge Mann ja wohl fühlen, wenn er schon mal hier ist. Ich meine, immer der Kasernenfraß...<br />
also <strong>ich</strong> <strong>den</strong>k mal, <strong>da</strong> sollten wir ihm schon was Anständiges vorsetzen.“<br />
Und was „Anständiges“ war ihm <strong>da</strong>nn auch vorgesetzt wor<strong>den</strong>, und meine Mutter hatte<br />
<strong>den</strong> Oswald („Sie können ruhig Oswald zu mir sagen, Frau Rubinek.“) „r<strong>ich</strong>tiggehend sympathisch“<br />
gefun<strong>den</strong>. Und der Oswald, Ausgang bis morgens Schlag sechs, hatte <strong>da</strong>nn auch in<br />
meinem Zimmer <strong>über</strong>nachtet; offiziell auf dem Sofa, meinem Bett gegen<strong>über</strong>. Aber in meinem<br />
Bett gegen<strong>über</strong> hatte er selbstverständl<strong>ich</strong> keinen Atemzug lang gelegen. Und mit uns<br />
zugange waren wir wie in unserer ersten Nacht: Er m<strong>ich</strong>, <strong>ich</strong> ihn, er m<strong>ich</strong>. Und früh um fünf<br />
war er entschwun<strong>den</strong>. Hatte s<strong>ich</strong> auf <strong>da</strong>s Fahrrad geschwungen, mit dem er gekommen war.<br />
Ein kompanieeigenes. Und mit dem war er <strong>da</strong>nn noch zweimal gekommen, bevor <strong>ich</strong> Geburtstag<br />
hatte. Aber an meinem Geburtstag, ein Samstag war’s, kam er mit dem Zug. Oswald<br />
hatte außer der Reihe vier Tage Urlaub beantragt, und die waren ihm auch genehmigt wor<strong>den</strong>.<br />
Dank Dieter und Björn und eines Besuchs, <strong>den</strong> <strong>ich</strong> <strong>den</strong> bei<strong>den</strong> eine Woche zuvor abgestattet<br />
hatte. – „Was siehst du eigentl<strong>ich</strong> an diesem Ju<strong>den</strong>lümmel?“ hatte es geheißen, „macht er’s<br />
dir besser als wir?“ – „Nein.“ – „Aber haben <strong>will</strong>st du ihn trotzdem?“ – „Ja.“ – „Na <strong>da</strong>nn<br />
wollen wir mal sehen, was s<strong>ich</strong> machen lässt. Aber erstmal hübsch stillhalten. Schön ficken<br />
lassen, ja –“<br />
Wir feierten meinen Geburtstag auf unserem Hof hinterm Haus. Mir neben Oswald zur<br />
Seite: meine Mutter, meine Großeltern mütterl<strong>ich</strong>erseits, meine schon lange verwitwete Anklamer<br />
Oma väterl<strong>ich</strong>erseits sowie mein aus Frankfurt/Oder angereister Onkel Hans, ein<br />
Halbbruder meines im Krieg gefallenen Vaters und ein eingefleischter Junggeselle; von Beruf<br />
Binnenschiffer.<br />
Tja und <strong>da</strong>nn, irgendwann, so gegen acht, halb neun, holte Oswald die mitgebrachte Klarinette<br />
aus dem Haus. Und wenig später steckten unsere Nachbarn links und rechts die Köpfe<br />
<strong>über</strong> <strong>den</strong> Zaun. – „Kommen Sie doch r<strong>über</strong>“, rief meine Mutter nach links und nach rechts,<br />
„spielt der junge Mann n<strong>ich</strong>t schön? Das ist was Jüdisches. So was, was wir hier gar n<strong>ich</strong>t<br />
kennen. Ist ja auch kein Wunder. Wenn wir <strong>da</strong>s vor ’45 gehört hätten, hätten sie uns garantiert<br />
ins KZ gebracht. – Na los, worauf warten Sie noch, kommen Sie r<strong>über</strong>.“<br />
Warnings kamen, Schulzes be<strong>da</strong>uerten; sie wür<strong>den</strong> ja gern, aber morgen kämen ihre Enkelkinder<br />
zu Besuch, <strong>da</strong> gäbe es im Haus noch mächtig viel zu tun. – „Hab’ <strong>ich</strong>’s dir n<strong>ich</strong>t<br />
immer gesagt?“ raunte meine Mutter mir zu, „Schulzes sind geblieben, was sie war’n, Nazis<br />
durch und durch. Nur <strong>da</strong>ss sie heutzutage die Fahne nach’m Wind hängen. Deshalb hab’ <strong>ich</strong><br />
<strong>da</strong>s auch mit dem Jüdisch gesagt. Wollt’ mal seh’n, wie sie reagier’n. Und <strong>da</strong>s bei so’ner<br />
schönen Musik.“<br />
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