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den Stab über euch brechen mag wer da will, ich nicht - Hermann W ...

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„Und was is’, wenn dein Bruder zu Haus is’?“ flüsterte <strong>ich</strong>, der <strong>ich</strong> <strong>da</strong>raufhin hörte: „Das<br />

wirst schon seh’n, was <strong>da</strong>nn is’. Da mach dir mal keine Sorgen. Achim hat <strong>da</strong>s genauso gern<br />

wie du –“<br />

„Was?“<br />

„Na Piepellutschen und so –“<br />

Und nun eilten auf der Leinwand des Ferdinand und der Luise Geschicke ihrem letalen<br />

Ende entgegen. Was einem der Jungs, die weit vorn saßen, wohl schnuppe war; je<strong>den</strong>falls<br />

latsche er zur Toilette. „Da muss <strong>ich</strong> auch noch mal hin“, raunte Horst, nahm mir seinen Arm<br />

von <strong>den</strong> Schultern, raunte: „Also bis gle<strong>ich</strong>. Wir treffen uns draußen. Wart’ auf m<strong>ich</strong> vorm<br />

Schaukasten. Ja n<strong>ich</strong>t weglaufen, verstan<strong>den</strong>? Schön auf m<strong>ich</strong> warten.“<br />

Ich nickte, und der Mann stand auf, ging durch die Reihe, ging zur Toilette, und mir ward<br />

mulmig zumute. Ich <strong>da</strong>chte an <strong>den</strong> Bruder... wie hieß er?... Achim, der noch n<strong>ich</strong>t mal vierzehn<br />

sein sollte und nachher wohl mit <strong>da</strong>bei sein würde, wenn <strong>ich</strong> <strong>da</strong>s r<strong>ich</strong>tig verstan<strong>den</strong> hatte.<br />

Aber was sollt’ <strong>ich</strong> <strong>den</strong>n mit einem Dreizehnjährigen? Ach du liebes bisschen, <strong>da</strong>s war<br />

doch noch ’n KIND. – Nee, mit so’m Jungen wollt’ <strong>ich</strong> <strong>da</strong>s n<strong>ich</strong>t, nun wirkl<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t. Nein,<br />

<strong>da</strong>s war n<strong>ich</strong>ts für m<strong>ich</strong>; <strong>da</strong> wollt’ <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t mitgehen.<br />

Und <strong>da</strong> ging <strong>ich</strong> auch n<strong>ich</strong>t mit. Luise gerade tot, Ferdinand desgle<strong>ich</strong>en, und dieser Horst<br />

noch auf der Toilette, auch der Junge noch drin, sprang <strong>ich</strong> schon auf, bevor der Film so r<strong>ich</strong>tig<br />

ans Ende gekommen. Fix lief <strong>ich</strong> durch die Reihe, rum um die Wand vorm Wandelgang,<br />

rein ins Foyer und hurtig die Treppe abwärts, die ins Vestibül mit <strong>den</strong> zwei Kassen führte.<br />

Und schon war <strong>ich</strong> raus aus dem Kino, schloss eilig mein Fahrrad vom Ständer, schwang<br />

m<strong>ich</strong> auf mein klappriges Vehikel, trat heftig in die Pe<strong>da</strong>len. – Weg war der Rufi, um drei<br />

Ecken der Rufi, und in zehn Minuten war <strong>ich</strong> zu Hause, wo vor zehn, halb elf mit meiner<br />

Mutter n<strong>ich</strong>t zu rechnen war; Mutter machte Überstun<strong>den</strong>, in der Bank lag der zeitaufwendige<br />

Jahresabschluss an. Das war im Dezember und bis in <strong>den</strong> Februar des neuen Jahres hinein<br />

immer <strong>da</strong>sselbe. Das kannte <strong>ich</strong> von Kleinkind-Beinen an. Das änderte s<strong>ich</strong> erst, als im<br />

Bankwesen die Abrechnungen <strong>über</strong> die EDV erfolgte, was aber Dezember ’59 noch in weiter<br />

Ferne lag; <strong>da</strong> hieß es wieder jede Menge Überstun<strong>den</strong> schrubben, was meine Mutter besch<strong>wer</strong>te,<br />

m<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t scherte. – So etwa nach dem Sprüchlein: Was dem einen sein Uhl, ist<br />

dem andern sein Nachtigall. Ich hatte je<strong>den</strong>falls n<strong>ich</strong>ts <strong>da</strong>gegen, abends ohne Mutter auskommen<br />

zu müssen. Konnte <strong>ich</strong> zu Hause an <strong>den</strong> Aben<strong>den</strong> wenigstens tun und lassen, was <strong>ich</strong><br />

wollte, wo <strong>ich</strong> doch ansonsten, obwohl schon sechzehn, meist erst tunl<strong>ich</strong>st zu fragen hatte,<br />

ob’s Mutter auch recht wäre, zum Beispiel, <strong>da</strong>ss <strong>ich</strong> zu Lackners ginge. Die wohnten nur ein<br />

paar Häuser weiter und besaßen etwas, was in Xge zu dieser Zeit noch längst n<strong>ich</strong>t alle ihr<br />

eigen nannten, näml<strong>ich</strong> einen Fernseher, und mit dem guckten sie, Antenne entsprechend ausger<strong>ich</strong>tet,<br />

‚Westfernsehen‘, wie <strong>da</strong>s allgemein hieß, und Mutter und <strong>ich</strong> durften mitgucken,<br />

wenn wir Lust drauf hatten. Wir waren mit Lackners gut bekannt; Herr Lackner war einst<br />

meines Vaters bester „Kriegskamerad“ gewesen, hatte auch in nächster Nähe gestan<strong>den</strong>, als es<br />

meinen Vater erwischt hatte; Herr Lackner hatte ihn fallen sehen. – Nun ja, solches vergaß<br />

s<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t; Lackners und Mutter waren nach dem Krieg einander verbun<strong>den</strong> geblieben. Das<br />

war keine Duzfreundschaft, aber gut miteinander bekannt war man schon, und so hatte es<br />

<strong>den</strong>n auch geheißen, als Lackners s<strong>ich</strong> einen Fernseher zugelegt, jederzeit könnten wir kommen.<br />

Was meine Mutter höchstens mal am Sonnabend nutzte, wogegen <strong>ich</strong> öfter zu Lackners<br />

fernsehen ging, allerdings immer nur <strong>da</strong>nn, wenn Mutter dies für angemessen hielt, und <strong>da</strong>s<br />

war n<strong>ich</strong>t allzu oft; <strong>den</strong>n eigentl<strong>ich</strong> sah sie es n<strong>ich</strong>t gern, <strong>da</strong>ss <strong>ich</strong> abschwirrte, war sie zu Hause.<br />

Da hatte <strong>ich</strong> ihr Gesellschaft zu leisten. Was <strong>ich</strong> an dem Abend, als <strong>ich</strong> aus dem Kino kam,<br />

„Kabale und Liebe“ gesehen und die bei<strong>den</strong> Männer erlebt, ja nun n<strong>ich</strong>t musste; <strong>da</strong> konnte <strong>ich</strong><br />

tun und lassen, was <strong>ich</strong> wollte, und <strong>ich</strong> wollte mal sehen, ob es was Interessantes im Fernsehen<br />

gäbe.<br />

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