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den Stab über euch brechen mag wer da will, ich nicht - Hermann W ...

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„geh du mal schon hoch. Gle<strong>ich</strong> erste Tür. Das ist <strong>da</strong>s ehemalige Kinderzimmer“, in dem nach<br />

zehn, zwölf Minuten auch Winfried eintrudelte, der <strong>da</strong> sagte: „Kannst ruhig wieder stöhnen<br />

wie <strong>da</strong>mals auf der Wiese. Willi ist taub.“<br />

Und Willi verstarb anderthalb Jahre später. „Nu müssen wir’s lassen“, sagte <strong>da</strong>raufhin<br />

Winfried, „<strong>ich</strong> weiß n<strong>ich</strong>t, wo sonst mit dir hin. Aber allmähl<strong>ich</strong> wirst du für solche Sachen ja<br />

sowieso zu groß. Gehst irgendwie n<strong>ich</strong>t mehr so r<strong>ich</strong>tig als Mädel weg. Weißt, was <strong>ich</strong> meine?<br />

– Nee? Na, <strong>da</strong>ss <strong>ich</strong> immer mehr <strong>da</strong>s Gefühl habe, <strong>ich</strong> würde ’n Bengel pimpern. Aber <strong>da</strong>s<br />

liegt mir n<strong>ich</strong>t. Dann is’ man näml<strong>ich</strong> ’n Homo. Und <strong>da</strong>s is’ was Krankes. Also jetzt freitags<br />

n<strong>ich</strong>t mehr hier rumsteh’n, hörst du? Sieh mal lieber zu, <strong>da</strong>ss du ’n Mann wirst.“<br />

Tja, was sollte <strong>ich</strong> <strong>da</strong>zu nun sagen? – N<strong>ich</strong>ts hab’ <strong>ich</strong> gesagt und bin meiner Wege gegangen,<br />

und der Sinn der vernommenen Rede blieb mir im Dunkeln. Kannte auch nieman<strong>den</strong>,<br />

<strong>den</strong> <strong>ich</strong> hätt’ fragen können. – Na ja, weiter im Text, Sommer ’56:<br />

8<br />

Am letzten Montag im Juli kamen wir in dem Erholungsheim für Kunstschaffende in<br />

Wernigerode an. Und in der Nacht vom Montag zum Dienstag <strong>über</strong>kam <strong>den</strong> armen Waldemar<br />

eine heftige Magen- und Darmgrippe. Er lag somit die ersten Tage im Bett. Und <strong>ich</strong> Knirps<br />

kümmerte m<strong>ich</strong> um ihn. Aber nebenher lernte <strong>ich</strong> unter anderem einen Mann näher kennen,<br />

der bei <strong>den</strong> Mahlzeiten an jenem Sechsertisch saß, der Waldemar und mir am Tag der Anreise<br />

von der etwas aufdringl<strong>ich</strong>en Leiterin des Hauses wortre<strong>ich</strong> zugewiesen wor<strong>den</strong> war: Also ab<br />

morgen säßen wir dort und dort, und mit uns wür<strong>den</strong> am Tisch essen Herr soundso (Tänzer <strong>da</strong><br />

und <strong>da</strong>) und Herr und Frau soundso (ebenfalls beim Ballett, und zwar <strong>da</strong> und <strong>da</strong>) sowie Fräulein<br />

soundso (Flötistin in dem und dem Opern-Orchester). – „Und wie soll <strong>ich</strong> d<strong>ich</strong> vorstellen,<br />

Junge? Schüler, ja?“ hatte die Frau gefragt, und Waldemar hatte statt meiner geantwortet:<br />

„Schauspieler, genauso wie <strong>ich</strong>. Schüler ist er nur nebenbei.“ – „Ach so“, hatte die Frau etwas<br />

pikiert von s<strong>ich</strong> geben, hatte ihre Gästeaufstellung in meiner Spalte entsprechend vervollständigt,<br />

und wir waren die Dame los.<br />

Doch dies nur am Rande. W<strong>ich</strong>tiger der „Herr soundso, Tänzer <strong>da</strong> und <strong>da</strong>“. Der junge<br />

Mann war an einem der bei<strong>den</strong> Opernhäuser in Berlin engagiert, wo er bereits nach nur einer<br />

Spielzeit auf dem Wege war, eine große Karriere machen, was <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t durch ihn erfuhr,<br />

sondern durch <strong>da</strong>s mit ihm befreundete Ehepaar, <strong>da</strong>s ebenfalls an unserem Tisch saß und berufl<strong>ich</strong><br />

dem Ballett des Friedr<strong>ich</strong>stadtpalastes angehörte.<br />

Dieses Ehepaar rief <strong>den</strong> Freund „Jogi“, und Jogi sagte, <strong>ich</strong> sollte ihn auch so anre<strong>den</strong>,<br />

weil alle ihn so anredeten, die ihn kennen wür<strong>den</strong>. Den Namen hätte ihm bereits ein Dozent<br />

an der Ballettschule verpasst. Er hätte <strong>den</strong> Dozenten an die Figur eines Tanzstücks erinnert,<br />

mit dem der Mann in <strong>den</strong> 20er Jahren sehr erfolgre<strong>ich</strong> als Ausdruckstänzer aufgetreten war. –<br />

„Also sag Jogi, Rudolf, oder wie nennen sie s<strong>ich</strong> im Theater, was hast du gesagt?“<br />

„Rurú.“<br />

„Na <strong>da</strong>nn sag <strong>ich</strong> auch ‚Rurú‘, und <strong>ich</strong> bin für d<strong>ich</strong> Jogi. Jogi und Du.“ Und die anderen<br />

am Tisch sollte <strong>ich</strong> auch gle<strong>ich</strong> duzen Was n<strong>ich</strong>ts Besonderes war; alle duzten s<strong>ich</strong> dort, nur<br />

die Heimleiterin wurde gesiezt und siezte zurück; m<strong>ich</strong> ausgenommen, versteht n<strong>ich</strong>t.<br />

Nun ja, Jogi... der, wie <strong>ich</strong> sehr bald merkte, viel für m<strong>ich</strong> übrig hatte, und <strong>ich</strong> hatte für<br />

ihn auch viel übrig, aber <strong>da</strong>raus erwuchs n<strong>ich</strong>ts. Ich hatte in Wernigerode n<strong>ich</strong>ts mit Jogi,<br />

weder an <strong>den</strong> Tagen, als Waldemar außer Gefecht gesetzt war und <strong>ich</strong> ihm aus der Küche emsig<br />

le<strong>ich</strong>t gesalzenen Kamillentee und Zwieback ans Bett brachte, noch in der Zeit, als Waldemar<br />

wieder wohlauf war und wir in größerer Gruppe wanderten. Aber Jogi sagte, als wir<br />

mal allein beieinander stan<strong>den</strong>: Wenn <strong>ich</strong> mal in Berlin wäre, sollte <strong>ich</strong> am Bühneneingang<br />

eine Nachr<strong>ich</strong>t für ihn hinterlassen. Er würde sofort reagieren, s<strong>ich</strong> mit mir treffen. Wäre doch<br />

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