den Stab über euch brechen mag wer da will, ich nicht - Hermann W ...
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<strong>ich</strong> mit meiner Mutter zurück nach Amster<strong>da</strong>m. Und <strong>da</strong> wür<strong>den</strong> die Deutschen uns umbringen.<br />
Die schreckten vor n<strong>ich</strong>ts zurück. Daran sollt’ <strong>ich</strong> immer <strong>den</strong>ken, auch wenn mir mal ’n<br />
Augenblick was weh täte. Das wäre immer noch besser, als aufgehängt zu <strong>wer</strong><strong>den</strong>. Und <strong>da</strong>s<br />
wür<strong>den</strong> die Deutschen mit uns machen, wenn er n<strong>ich</strong>ts mehr für uns tun könnte. Aber nur<br />
<strong>da</strong>nn. Ansonsten würde uns n<strong>ich</strong>ts passier’n. Das würde er mir versprechen. Ich müsst’ nur<br />
meinen Mund halten. Und meiner Mutter zeigen, <strong>da</strong>ss <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> freue, wenn er m<strong>ich</strong> nächstes<br />
Mal abholt. Und weißt’, wann <strong>da</strong>s war? Gle<strong>ich</strong> ’n Abend später. Da stand er wieder, dieser<br />
Mistkerl, und <strong>ich</strong> hab’ einen auf Strahlemann gemacht, obwohl <strong>ich</strong> Angst hatte wie sonstwas.<br />
Allein schon deshalb, weil mir mein Hintern immer noch weh getan hat. Und <strong>da</strong>s hab’ <strong>ich</strong><br />
dem Nyland auch gesagt, als wir vom Hof waren. Hab’ auch angefangen zu weinen. Aber<br />
<strong>da</strong>rauf hat der Kerl n<strong>ich</strong>ts gegeben. Hat nur gesagt, <strong>ich</strong> soll m<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t so haben. Ich wäre<br />
doch schließl<strong>ich</strong> ’n Junge. Ich würd’ doch wohl <strong>da</strong>s bisschen Gestöpsel aushalten können.<br />
Sollt’ froh sein, <strong>da</strong>ss m<strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t die Deutschen erwischten. Die wür<strong>den</strong> näml<strong>ich</strong> keine Liebe<br />
mit mir machen. Umbringen wür<strong>den</strong> die m<strong>ich</strong>. Ob <strong>ich</strong> <strong>da</strong>s vergessen hätte. ‚Ja, hast’ <strong>da</strong>s vergessen?<br />
Willst’ lieber zu <strong>den</strong> Deutschen?‘, hat er gefragt. Und <strong>da</strong>s, obwohl er genau wusste,<br />
<strong>da</strong>ss wir vor n<strong>ich</strong>ts mehr Angst hatten als vor <strong>den</strong> Deutschen. ‚Nee, <strong>da</strong> <strong>will</strong> <strong>ich</strong> n<strong>ich</strong>t hin‘,<br />
hab’ <strong>ich</strong> gesagt, ‚lieber komm <strong>ich</strong> mit dir mit. Aber mir n<strong>ich</strong>t wieder so weh tun.‘ Ach<br />
Quatsch, <strong>da</strong>ran würd’ <strong>ich</strong> m<strong>ich</strong> gewöhnen, hieß es. ‚Du glaubst ja gar n<strong>ich</strong>t, wie viel Spaß dir<br />
<strong>da</strong>s irgendwann macht.‘ Und <strong>da</strong>nn sind wir in diesem Gewächshaus angekommen, und <strong>da</strong> ist<br />
es abgelaufen wie <strong>den</strong> Abend zuvor. Ich bin meine Hosen los gewor<strong>den</strong>, wurde wieder auf’n<br />
Bauch geschubst und dieser Willem ist schnurstracks <strong>über</strong> m<strong>ich</strong> r<strong>über</strong>. – Tja, Rufi, so ist <strong>da</strong>s<br />
nun mal, wenn man Menschen für vogelfrei erklärt. Kann jeder mit einem machen, was er<br />
<strong>will</strong>. Hat meine Mutter übrigens auch zu spüren gekriegt. Die ist genauso sexuell ausgebeutet<br />
wor<strong>den</strong>. Und zwar von dem Bauern, <strong>da</strong> wo wir gehaust haben. Hat sie nie dr<strong>über</strong> gesprochen,<br />
aber <strong>ich</strong> weiß es. – Na ja, was soll man sagen, <strong>da</strong>s Leben haben uns diese Leute trotzdem gerettet.<br />
Wir waren n<strong>ich</strong>t mal unterernährt, als der Spuk zu Ende war. Nur Mutters Gesangsstimme<br />
war ramponiert. An Auftreten war n<strong>ich</strong>t mehr zu <strong>den</strong>ken. Mutter konnt’ nur noch Gesangsunterr<strong>ich</strong>t<br />
geben. Das war aber in Holland gle<strong>ich</strong> nach’m Krieg gar n<strong>ich</strong>t so einfach,<br />
genügend Schüler zu kriegen, um uns beide durchzubringen. Deshalb ist sie <strong>da</strong>nn auch mit<br />
mir ’49 nach Deutschland zurück. Auf Anraten ihres ehemaligen Gesangslehrers. Der hatte<br />
ihr geschrieben, in Pots<strong>da</strong>m könnt’ sie Dozentin <strong>wer</strong><strong>den</strong>, wenn sie <strong>da</strong>s wollte. – Ein Glück,<br />
was, Rufi? Sonst wären wir uns näml<strong>ich</strong> jetzt n<strong>ich</strong>t begegnet.“<br />
Aber nun waren wir uns begegnet, und wir haben auch nie wieder von einander gelassen,<br />
bis auf <strong>den</strong> heutigen Tag n<strong>ich</strong>t, egal, wo es <strong>den</strong> einen wie <strong>den</strong> anderen zwischenzeitl<strong>ich</strong> auch<br />
immer mal wieder hin verschlagen hat. Wir lebten oft getrennt und unsere Beziehung war nie<br />
eine monogame, aber vielle<strong>ich</strong>t gerade deshalb sind wir ein... nein, kein Freundespaar... ein<br />
Liebespaar sind wir geblieben.<br />
Oswald lebt seit langem abwechselnd in Haifa und in Berlin. Aus dem NVA-<br />
Unteroffizier mit miserablem Grundschulabschluss und keinem Beruf ist nach unserer gemeinsamen<br />
abenteuerl<strong>ich</strong>en Flucht in <strong>den</strong> Westen (August ’68) ein Musiker gewor<strong>den</strong>. Ein<br />
Klarinettist, ein Klezmer. – Immer wenn <strong>ich</strong> in seinen Konzerten sitze, spielt er einzig und<br />
allein für m<strong>ich</strong>, sagt er. „Hast’ es gespürt?“ <strong>wer</strong>de <strong>ich</strong> ein um <strong>da</strong>s andere Mal gefragt, „war dir<br />
wieder wie <strong>da</strong>mals, Rufi?“<br />
Ja, mir ist immer aufs Neue wie <strong>da</strong>mals, Juni ’60 und an meinem siebzehnten Geburtstag;<br />
Oswald bei mir zu Hause schon hinlängl<strong>ich</strong> eingeführt. Ich hatte meiner Mutter, als sie<br />
von dem Lehrgang aus Berlin zurückgekommen war, ganz und gar unverfängl<strong>ich</strong> erzählt, <strong>da</strong>ss<br />
s<strong>ich</strong> mit mir nach meinem Auftritt in der P-er Kaserne ein Unteroffizier angefreundet hätte.<br />
Hieße Oswald. Wäre sechsundzwanzig, und nächsten Sonntag hätte er Ausgang und würde<br />
m<strong>ich</strong> nachmittags besuchen. So gegen fünf, halb sechs.<br />
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