Der Bologna-Prozess aus Sicht der Hochschulforschung
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Studiengestaltung und Studierverhalten | Seite 75<br />
1.3. Ergebnisse und Beobachtungen <strong>aus</strong> den Zeitbudget-Analysen<br />
Die 1 Zeitbudget-Analysen zeigen, dass die tatsächliche studentische Workload im Mittel weit<br />
geringer ist als von den <strong>Bologna</strong>-Vorgaben veranschlagt. 2 Die von uns erhobenen Daten<br />
stammen <strong>aus</strong> 18 Erhebungsdurchläufen in 13 Studiengängen an fünf deutschen<br />
Universitäten. Das Fächerspektrum umfasst dabei sowohl ingenieur- als auch geistes- und<br />
sozialwissenschaftliche Studiengänge sowie einen naturwissenschaftlichen Studiengang<br />
(detaillierte Informationen hierzu sowie zu den Ergebnissen sind zu finden in Schulmeister/<br />
Metzger 2011). Die Daten belegen, dass das Selbststudium von vielen Studierenden nicht im<br />
angesetzten Maß wahrgenommen wird (vgl. Metzger 2010). <strong>Der</strong> Großteil des Selbststudiums<br />
dient <strong>der</strong> Prüfungsvorbereitung kurz vor <strong>der</strong> Prüfungsphase. Zu Prüfungszeiten beschränkt<br />
sich das Selbststudium fast <strong>aus</strong>schließlich auf die Prüfungsvorbereitung. Verbreitet findet<br />
das sogenannte „Bulimie-Lernen“ statt. Im Mittel investieren die Proband(inn)en in den<br />
verschiedenen untersuchten Bachelorstudiengängen zwischen 20 und 27 Stunden in <strong>der</strong><br />
Woche in ihr Studium. Auffällig ist dabei, dass die Werte für die Workload erheblich von sehr<br />
niedrigen bis sehr hohen Werten streuen. Bedrückend ist <strong>der</strong> Befund, dass <strong>der</strong> ins Studium<br />
investierte Zeitaufwand nicht in einem Zusammenhang zum Studienerfolg (Noten) zu stehen<br />
scheint.<br />
Dies deutet darauf hin, dass die Kalkulation von Workload, gemessen im ECTS, allenfalls zur<br />
Planung von Studiengängen, Modulen und Unterricht geeignet zu sein scheint, nicht jedoch<br />
als Maß für Leistung o<strong>der</strong> gar Lernerfolg; zu unterschiedlich sind die individuellen<br />
Vorkenntnisse, Lernstile, Lernstrategien etc. Vielmehr scheint das ECTS zu einer<br />
„Punktejagd“ zu verführen, bei <strong>der</strong> die Aufmerksamkeit weg von den sozialen Normen<br />
(Selbstverpflichtung und Selbstverwirklichung) und hin auf die Norm des Marktes fokussiert<br />
wird (Schulmeister/Metzger 2011, S. 119ff). Auch die subjektiv empfundene Belastung<br />
scheint wenig mit dem tatsächlichen Zeitaufwand zu tun zu haben. Abgesehen davon<br />
investieren in größerem Umfang erwerbstätige Studierende nicht automatisch beson<strong>der</strong>s<br />
wenig Zeit in ihr Studium.<br />
2. Einschätzung <strong>der</strong> Ergebnisse <strong>der</strong> Zeitbudget-Analysen<br />
Neben den Zeitbudget-Analysen haben wir Interviews mit einigen Proband(inn)en durchgeführt<br />
sowie Zeitmanagement-Workshops veranstaltet, in dem die Proband(inn)en ihre<br />
Daten in <strong>aus</strong>gewerteter Form erhielten und reflektierten. An einigen Standorten wurden<br />
zudem informelle Stammtische mit den Proband(inn)en veranstaltet, Sprechstunden durchgeführt<br />
und eine Forschungswerkstatt abgehalten. Aus diesen Gesprächen sowie <strong>aus</strong><br />
zusätzlich durchgeführten Befragungen konnten wir Eindrücke über Motivationen für<br />
Studienverhalten und Einschätzungen bzgl. <strong>der</strong> Studiensituation seitens <strong>der</strong> Proband(inn)en<br />
erhalten, die neben den Ergebnissen <strong>der</strong> Zeitbudget-Analyse in unsere Einschätzung<br />
einfließen.<br />
Fragt man die Studierenden ohne Kenntnis <strong>der</strong> Zeitbudget-Ergebnisse nach einer<br />
Selbsteinschätzung ihrer Workload, so schätzen sie ihren Zeitaufwand durchweg höher, z.T.<br />
sehr viel höher ein, als er tatsächlich ist. Teilweise fühlen sich die Studierenden zudem durch<br />
1<br />
2 Ob die Anfor<strong>der</strong>ung von 900 Stunden pro Semester mit entsprechend 40 Wochenstunden ein angemessener<br />
Umfang für den Studienzeitaufwand ist, ist eine an<strong>der</strong>e Frage als die, inwieweit <strong>der</strong> veranschlagte Umfang erfüllt<br />
wurde. Im Projekt ZEITLast sind wir letzterer Fragestellung nachgegangen.