Der Bologna-Prozess aus Sicht der Hochschulforschung
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Seite 84 | Kompetenzorientierte Studiengangsentwicklung<br />
a. Rekonstruktion fachspezifischer Kompetenzen<br />
Die Orientierung an Wissenschaft muss berücksichtigen, dass den einzelnen<br />
Disziplinen charakteristische Grundideen <strong>der</strong> Gegenstandskonstitution und <strong>der</strong><br />
Gegenstandsbehandlung zugrunde liegen, die sich in fachtypischen Denkweisen,<br />
Konzepten, Methoden und Techniken, in Praktiken <strong>der</strong> Begriffsbildung, <strong>der</strong><br />
Generierung von Wissen und <strong>der</strong> erklärenden, verstehenden o<strong>der</strong> handelnden<br />
Erschließung von Realitäts<strong>aus</strong>schnitten nie<strong>der</strong>schlagen.<br />
Typisch akademische Kompetenzen lassen sich – je fachspezifisch konkretisiert –<br />
konzeptualisieren als die Beherrschung <strong>der</strong> jeweiligen Art und Weise (vgl. dazu<br />
auch Heckh<strong>aus</strong>en 1987), wie die disziplinrelevanten Realitäts<strong>aus</strong>schnitte in<br />
Theorien, Modellen o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Arten von Rekonstruktionen fasslich und für das<br />
Denken operabel gemacht werden, um letztlich die betreffenden Sachverhalte <strong>der</strong><br />
Wirklichkeit zu verstehen, zu erklären, vorherzusagen, praktisch zu nutzen o<strong>der</strong> zu<br />
verän<strong>der</strong>n.<br />
Auf dieser konzeptuellen Basis wird zunächst eine Rekonstruktion disziplin- und<br />
studiengangsbezogener Kompetenzprofile durch Experteninterviews mit Hochschullehrenden<br />
angestrebt. In diesen Interviews mit Fachvertreter(inne)n wird erkundet,<br />
welche beson<strong>der</strong>en Konzeptualisierungen und Herangehensweisen an Aufgabenstellungen<br />
und Problemlösungen das Fach <strong>aus</strong>zeichnen und auf welchen<br />
didaktischen und methodischen Wegen versucht wird, dies in universitären<br />
Lehrprozessen zu vermitteln. 6 Die Auswertung <strong>der</strong> Transkriptionen dieser Interviews<br />
erfolgt in mehreren Verdichtungsschritten durch theoretisches Codieren. Hierüber<br />
soll explizierbar gemacht werden, welche Kenntnisse, Fähigkeiten, Fertigkeiten,<br />
Strategien, Routinen, Haltungen und motivationalen Orientierungen, m.a.W. welche<br />
Kompetenz- und Bildungspotenziale in die Teilhabe an fachlichen und<br />
überfachlichen Diskursen, in das Betreiben von Wissenschaft bzw. in die<br />
Verwendung wissenschaftlichen Wissens eingeschrieben sind.<br />
Die Kompetenzmodellierung erfolgt also über eine Rekonstruktion wissenschaftsimmanenter,<br />
disziplinärer Eigenlogiken durch ein hermeneutisch-rekursivexplikatives<br />
Vorgehen. Dabei zeigen sich zugleich die Grenzen einer quantitativen<br />
Kompetenzmessung, die (sofern überhaupt möglich) stets eine Interpretation, also<br />
ein kontextbezogenes Verstehen <strong>der</strong> Daten erfor<strong>der</strong>t. Das <strong>aus</strong> Kompetenzmessungen<br />
resultierende Wissen ist nicht beliebig transferierbar, son<strong>der</strong>n muss im<br />
Deutungshorizont <strong>der</strong> disziplinbezogenen Eigenlogiken nachvollzogen werden.<br />
Kompetenzmessung kann nicht <strong>aus</strong>schließlich deskriptiv-analytisch erfolgen, sie<br />
muss sinnrekonstruktiv vorgehen. Insofern dienen Kompetenzmodellierung (und<br />
potenziell Kompetenzmessung) in erster Linie <strong>der</strong> Selbstverständigung <strong>der</strong><br />
Lehrenden und Studierenden über die Ziele und Inhalte des Studiums und über die<br />
Wissens- und Könnensordnungen <strong>der</strong> Disziplin.<br />
6 Diese ca. einstündigen Interviews umfassen Fragen zur Wissensordnung und zu Könnensanfor<strong>der</strong>ungen im<br />
Aufgabengebiet des Befragten, zu den kognitiven und motivationalen Anfor<strong>der</strong>ungen im Studiengang und<br />
typischen curricularen Inhalten und Arbeitsleistungen, zu Kerntätigkeiten in <strong>der</strong> künftigen Berufspraxis <strong>der</strong><br />
Absolvent(inn)en, zu Kernkompetenzen <strong>der</strong> Disziplin und zur persönlichen Faszination am eigenen Fach sowie<br />
hilfreichen Eigenschaften und Motivlagen beim Betreiben <strong>der</strong> Disziplin.