Theologinnen 23 - Konvent evangelischer Theologinnen
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den. Wir führten an den Tischen Gespräche, soweit dies bei der lautstarken Tanzmusik<br />
möglich war. Immer wieder gab es Schlägereien, auch zwischen Deutschen und Türken.<br />
Wir waren dankbar, dass uns Jugendbeamte der Polizei und Streetworker zur<br />
Seite standen. „Die Hells Angels“ kamen auf ihren Motorrädern angebraust. Ihre Lederjacken<br />
mit ihrem Emblem wurden in die Sakristei eingesperrt; nach dem Ende des<br />
Abends konnten sie wieder abgeholt werden. Die Polizei bestätigte uns: Seit dieser<br />
Club läuft ist die Kleinkriminalität in diesem Stadtteil zurückgegangen. Viele Nachbarn<br />
fanden die wöchentliche Lärmbelästigung unzumutbar. Ein Nachbar meinte: „Beim<br />
katholischen Pfarrer würde es das nicht geben!“ Ich konterte, aber seine Ministranten<br />
sind bei uns. Für viele junge Leute wurde die Kirche durch diese Aktivität glaubwürdiger.<br />
Nach der Konfirmation hatten sie wieder Zugang zur Gemeinde gefunden. Dies<br />
bestätigten auch Eltern. Es gab manche Clubheirat mit späterer Taufe der Kinder. Bei<br />
unseren Straßenfesten halfen Clubmitglieder beim Aufbau der Tische und Bänke mit,<br />
Seite an Seite mit den ehrenamtlichen Mitarbeitern aus der Gemeinde. Seit 1977 wurde<br />
das Gemeindestraßenfest zum jährlichen Highlight im Sommer. Es begann mit einem<br />
Familiengottesdienst, anschließende begann das bunte Treiben auf der Straße<br />
mit Flohmarkt, Würstlbraten, Bier vom Fass etc. Auch meine Nachfolger übernahmen<br />
diese Tradition. 2007 wurde das 30jährige Jubiläum gefeiert. Das Straßenfest macht,<br />
wie viele Aktivitäten, das Motto deutlich, mit dem ich meinen Dienst antrat: Kirche<br />
für den Stadtteil. Bei diesem Fest saßen alle Bevölkerungsschichten gemeinsam mit<br />
den ausländischen Mitbürgern an den Biertischen. Ein vergessenes Stadtviertel „Alte<br />
Haide“ wurde aufgewertet. Nach dem ersten Weltkrieg wurde es nach den Plänen des<br />
berühmten Architekten Theodor Fischer errichtet. Die erste Zeilenbauweise in<br />
Deutschland. Heute steht die Alte Heide unter Ensembleschutz.<br />
Nach dem zweiten Weltkrieg errichtete die Südhausbau auf der anderen Seite der<br />
Kirche eine Flüchtlingssiedlung. In ihr fanden viele Heimatvertriebene aus dem Osten<br />
eine neue Heimat. In ökumenischer Gemeinsamkeit mit der katholischen Allerheiligenkirche<br />
kümmerten wir uns als unzumutbare Mieterhöhungen drohten. Im Mieterbus<br />
der Stadt München wurden vor unserer Kirche Hilfesuchende beraten.<br />
Durch die Ungererstraße wurde das Gemeindegebiet wie durch einen Wassergraben<br />
getrennt. Die Kirche wurde 1960 im Gebiet der mittleren sozialen Schichten erbaut.<br />
Das Pfarrhaus dagegen in der Rheinlandstraße am Englischen Garten. Hier wohnten<br />
mehrheitlich die führenden Leute vom Max-Planck-Institut. Hier entstand auch die<br />
Studentenstadt. Am Beginn meiner Tätigkeit konnte ich mir nicht vorstellen, den Ansprüchen<br />
diesseits und jenseits gerecht zu werden. Aber es ist immer wieder gelungen,<br />
bei Kasualien, bei besonderen Gottesdiensten, beim Straßenfest. Ein Studentenchor<br />
probte zum Beispiel in der Kirche und sang immer wieder einmal in den Gottesdiensten.<br />
Blechbläser probten in der Rheinlandstraße. So entwickelten sich auf beiden<br />
Seiten der Ungererstraße viele Aktivitäten: Seniorenclub, Teenachmittage, Müttertreffpunkt,<br />
deutsch-türkische Kaffeerunde.<br />
Die ökumenische Zusammenarbeit zwischen der katholischen Allerheiligenkirche und<br />
98 <strong>Theologinnen</strong> <strong>23</strong> / September 2010